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NEU Februar 2016   korrigiert Nov. 2023

DISTANZRITT "500 Meilen" HAMBURG - MÜNCHEN 1976

Gruppenbild 1976
Am Start (v.l.n.r.): Hanns Ullstein jr./Napoleon, Erika Bax/Peter, Bärbel Wichmann/Wodan, Rita Schlereth/Benjamin, Dr. Hermann Schulte-Steinberg/Guri. Rechte Seite Rita Ludwig/Chandor, Peter Ludwig/Kerze, Jürgen Scherbarth/Annabell, Ursel Schmitt/Pinocchio, Paul Bencze/Petano, Richard Tobler/Iltschi, Albert Fichtel/Bølja. Nicht im Bild: Bruno Prang (Schmied, Organisation), Dr. Dirk Mahler (Tierarzt)

Distanzritt Hamburg-München
1976 befand sich das Distanzreiten in Deutschland noch im Pionierstadium. Jedes Jahr wurden eine Handvoll Ritte ausgerichtet, mit dem Hundertmeiler "Hamburg-Hannover" als längsten Ritt, und einer stark steigenden Zahl an Startern. Für die Deutsche Reiterliche Vereinigung waren das "wilde" Wettbewerbe, für ordentliche Reitvereine untragbar. Jeder Veranstalter machte eigene Regeln und richtete sich dabei nach den Empfehlungen des "Feuerkreis" oder der "Organisation Stricker/ Arbeitskreis Distanzreiten". Auch für Checkkarten gab es schon Standards. Tierärztliche Untersuchungen waren bereits selbstvertsändlich; es wurde mehr gemessen als heutzutage: Puls, Atem und gelegentlich auch Temperatur. "Umkehrwerte" (Atem- höher als Pulswerte) waren gefürchtet, traten bei Ponies mit dichtem Fell aber öfters auf. Alle Ritte fanden in Regionen mit ausgezeichnetem Geläuf statt: Artland/Ankum, Lüneburger Heide, Göhrde, Senne, Seligenstädter Sand, Schwäbische Alb -- Schotterdistanzen wäre niemand mitgeritten. Es wurden viel mehr Ponies geritten als heute -- Araberpferde konnte sich noch fast niemand leisten; die besten von Ihnen wurden hinter dem "eisernen Vorhang" in Polen und der Sowjetunion gezogen, und die Nachzucht in staatlichen Auktionen für hohe Dollarbeträge versteigert.
Im gleichen Jahr fand zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeitserklärung ein Distanzritt quer durch die Vereinigten Staaten statt, mit nahezu 100 Teilnehmern, das "Great American Horse Race (GAHR)", der längste jemals stattgefundene Distanzritt. Auch einige Starter aus Deutschland, Österreich und Schweiz (mit Isländern beritten) machten mit. Linda Tellington-Jones nahm die per Flieger transportierten Ponies im Empfang, trainierte sie wettkampffertig, und Ursula Bruns schrieb monatlich große Berichte darüber in der, damals von jedem Freizeitreiter gelesenen "Freizeit im Sattel", mit dem typischen Tenor jener Zeit: Unsere Isländer sind den Arabischen Pferden überlegen. Es siegte jedoch Virl Norton mit zwei Mulis (gezogen aus Englischen Vollblutstuten).

Die Daheimgebliebenen, die sich den teuren Trip bzw. ein halbes Jahr Urlaub für den Ritt nicht leisten wollten oder konnten, wollten nicht zurückstehen, und organisisierten deshalb  den 500-Meilen-Ritt "Hamburg-München", der im Oktober stattfand. Anhand der Generalkarte wurde eine Strecke grob festgelegt, dann mit 28 Karten im Maßstab 1:50.000 nach der Luftlinie durchgeplant und die Wege mit dem Auto abgefahren. Das Ergebnis war eine Strecke mit ziemlich viel Asphalt und harten Wegen. Und die Aufgabe eine solche Strecke zu markieren konnte letztlich nicht befriedigend gelöst werden. Der Ritt ging nur durch drei Bundesländer: Niedersachsen, Hessen und Bayern. Die weichen Wege Sachsen-Anhalts und Thüringens lagen noch unerreichbar hinter dem Grenzzaun der DDR. Obwohl die Luftlinien-Entfernung zwischen den Start- und Zielorten bloß 571km beträgt, war der Ritt laut Ergebnisliste 880km lang, d.h. der Faktor zwischen beiden von 1,63 spricht für eine kompliziere Streckenführung - oder die tatsächlich gerittene Entfernung war in Wahrheit ein klein wenig kürzer.

"Früher Aufhören in der Wertung" gab es auf den Ritten jener Tage noch nicht, das galt auch für Hamburg-München. Es musste die ganze Strecke geritten werden! Laut Bericht war mit mehr Reitern gerechnet worden, als tatsächlich starteten; dies stellte die Organisation vor finanzielle Probleme. Es starteten 12 Reiterinnen und Reiter, davon kamen 7 am Ende in die Wertung. Pony Peter schied wegen eines Beschlagfehlers gleich am 2. Tag aus und wurde von seiner Reiterin durch Fjordstute Lotte ersetzt, die bis ins Ziel außer Konkurrenz mitlief. Iltschi schied wegen Lahmheit (ältere Sehnenverletzung) am 4. Tag aus, und wurde im Transporter mitgefahren, da das Pferd des anderen Schweizers und späteren Siegers ohne ihn nicht fraß. Am 10.Tag war der Ritt auch für Napoleon und Wodan zuende. Am letzten Tag wurde 50km transportiert, um die letzte Etappe zu verkürzen und damit die Pferde im guten Zustand das Ziel erreichten. Unterwegs wurden manchen Pferden durch den Tierarzt häufiger "Schrittpausen" verordnet, und auch Pferdebeine mit Kampfersalbe behandelt. Alle Pferde waren mit Eisen beschlagen, teils mit Platten, teils sogar mit (heute wohl undenkbar) Stollen. Nach der Ergebnisliste waren die Pferde vielfach immens lange unterwegs, nicht selten über 10-11 Std. mehrfach hintereinander, der Schritt wurde vielfach zur Hauptgangart. Die im Wettbewerb befindlichen Pferde wurden über Nacht meistens noch in Boxen und (wie durch Tierarzt Dr. Mahler kritisiert: zu warmen) Ställen untergebracht; Paddocks waren noch nicht üblich. Es gab viele Verritte wegen unzureichender Markierung.

Am Ende war der Schweizer Paul Bencze auf seinem ungarischen Araberwallach Petano der Schnellste mit 90:27 Std. Reitzeit und siegte in der Großpferde-Wertung. Zweitschnellster und Sieger der Kleinpferdewertung war Bert Fichtel mit Fjordhengst Bølja, zu der Zeit das Pferd mit den meisten, nämlich 1.958 Distanzkilometern, und der bis 1983 zehn (!) Hundertmeiler lief.

Zusammen mit dem "langen" Trabweg - West (1991, 14 Tage)
vom Pfälzer Wald zur Nordsee gilt Hamburg-München als längster deutscher Distanzritt.

Ergebnisliste

Ursel Schmitt hat über diesen Ritt, und den damaligen Stand des Distanzreitens (inkl. KM-Wertung für alle Pferde und Reiter) ein sehr schönes Buch verfasst, zusammen mit Jürgen Scherbarth, der später auf einem Distanzritt tödlich verunglückte. Das Buch erschien 1977 in einer Auflage von 500 Exemplaren und gibt den Geist des frühen Distanzreitens sehr schön wieder.

Buch

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