taunusreiter TAUNUSREITER
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. 2016  Letzter Update -

Historische Distanzritte

Aus den in der Zeit um die Jahrhundertwende 1900 durchgeführten, über 1000km langen Ritten einzelner berittener Offiziere stechen eine Handvoll besonders heraus, darunter der von Leutnant Brosig, von ihm in einem, wohl nur in kleiner Auflage gedruckten 44-seitigen Bericht dokumentiert, der aber nie nachgedruckt wurde und deswegen von mir hier aufgeführt und beschrieben ist.

Brosig, diente im (4. Westfälischen) Infanterie-Regiment Graf Barfuß Nr. 17, war somit nur "im Geiste" echter Kavallerist. Seine Pferd "Fleurette" war eine 9 1/2 jährige, 1,65m gr. Goldfuchs-Stute französischer Abstammung, die ihm offenbar selbst gehörte1). Gezäumt auf Pelham ohne Trense. Im Mai 1894 ritt er in 16 Tagen (14 Reit- und 2 Ruhetage) von Forbach - der Garnison, wo er diente - in seinen Heimatort Glatz in Schlesien auf Urlaub. Sein Ritt fand zwei Jahre nach dem Distanzritt Berlin-Wien statt. Er ritt nach Karten 1:200.000, fast nur auf Straßen (damaligen "Chausseen"), heutzutage durchweg Bundes- und Hauptverkehrsstraßen, in Tschechein teils Autobahnen. Die Chausseen der vor-automobilen Zeit waren überwiegend sehr gut zu reiten und hatten eine Hälfte mit wassergebundener Decke befestigt (ähnlich heutigen gut gebauten Forstwegen) und einen Teil unbefestigten Sommerweg daneben. In nicht so schönen Gegenden gab es natürlich damals auch schon üblen Schotter, der zum Langsamreiten zwang. Die damaligen, direkt an den Straßen gelegenen Gasthäuser hatten noch Ställe zur Unterbringung der Pferde. Teilweise übernachtete Brosig, der in Uniform ritt, auch in Garnisonen.

Reitzenstein
Freiherr von Reitzenstein "Wien-Berlin" (von Leutnant Brosig gibt es leider keine Abbildung)

Brosig trabte viel, führte aber auch viel Schritt, nämlich auf Straßenpflaster (Kopfsteinen), bergab und auch bergauf, ritt mit wenig Gepäck und ohne Burschen. Er pflegte und fütterte sein Pferd auf dem Ritt stets selbst, wie man das heute als Wanderreiter selbstverständlich macht, was bei den "Herrenreitern" und Offizieren seinerzeit noch nicht üblich war. Brosig's Anspruch war, den Ritt "militärisch" durchzuführen (im Krieg stehen ja auch keine Pferdeknechte zur Verfügung), mit einem Pferd das am Ziel noch "einsatzbereit" ist, oder wie man heute sagen würde, "fit to continue". Das macht seinen Ritt wertvoller als den Distanzritt Wien-Berlin 1892, wo rücksichtslos geritten wurde und viele Pferde verendeten. Folgerichtig waren auch seine Übernachtungsquartiere nicht vorbestellt sondern spontan organisiert, so wie die Form des Pferdes nahelegte - vermutlich mit Ausnahme der ersten Übernachtung Kaiserslautern, welche Tagesstrecke auch ungewöhnlich lang war.

Beim Auswerten der Berichte und Nachmessen der Strecken fallen folgende Beobachtungen auf:
  1. Die Tagesetappen sind zeitlich sehr lang (oft mehrfach hintereinander 11 und mehr Stunden Reitzeit, zuzüglich 1-2 längere Pausen täglich zum füttern). Heute würde man eher kürzer reiten

  2. Das gerittene Durchschnittstempo (um 5.9km/h zzgl. Pausen) ist recht gering, was auf eher langsamen Trab und vieles Schrittgehen und Führen hindeutet. Auch heute lässt sich dieses Tempo in unbekanntem Gelände auf trainierten Pferden stressfrei reiten, sogar unter Minimierung befestigter Fahrwege (den damaligen "Chausseen" entsprechend). Da er auch nur mit relativ leichtem Gepäck ritt, und die Strecke so ausgesucht war, dass die Steigungen verhältnismässig gering waren (1.7% Durchschnittssteigung/Auf und Abstiege Anteil an Gesamtweg), hat er sein Pferd durch das Reittempo nicht strapaziert.
    Wenn er berichtet, dass das Pferd ab der 1. Hälfte doch häufig müde wurde und an Gewicht abnahm (auch die eingelegten 2 Ruhetage plus eine halbe Ruherast in Würzburg sprechen dafür), lag dies wohl eher an der zeitlichen Beanspruchung als am geritteten Tempo. Er hat, für das angeschlagene Tempo, in den 3 Monaten vor dem Ritt sehr viel trainiert (---- km) und sein Pferd möglicherweise übertrainiert an den Start gebracht. Ansonsten hätte er bergauf, in dem insgesamt doch eher unbergigen Gelände, weniger abzusteigen brauchen. Auch auf den flachen Tagesetappen ist sein Schnitt nicht schneller.

  3. Die Gesamtstrecke war sehr gut ausgesucht, wozu nicht nur die verhältnismäßige Kürze (1,16-faches der 714km betragenden Luftlinie), sondern auch der gut zu bereitende Ausbauzustand und die Umgehung der steilsten Mittelgebirgsstrecken zählte. Wer heutzutage eine solche Strecke reiten will, wird gezwungen sein dichtbesiedelte Gebiete durch Mittelgebirgsregionen zu umgehen, und hätte nicht nur größere Steigungen (um 4%) sondern auch einen beträchtlich längeren Weg (die 1,5-1,6-fache Luftlinien-Entfernung) zurückzulegen, hätte also rd. 20% mehr zurückzulegen.

  4. Bei der Nachmessung der Strecken, wozu ich online erhältliche historische Karten der Zeit benutzte 2), waren die oft veränderten Chausseeverläufe zu berücksichtigen (neuere Anschlüsse, Umgehungsstraßen, neugebaute Kreisel u.a.). Die alten Chausseen verliefen in den Betrachtungsabschnitten meistens schnurgerade, und bei insgesamt viel dünner Besiedlung waren die Entfernungen (mit den heutigen Mitteln genau zu berechnen) fast kürzer als heutige PKW-Verbindungen (heutige Straßen-Enfernung 841km mit Autobahnen, 891km ohne). Insgesamt ist festzustellen, dass die behauptete Streckenlänge (1116km) um ca. 20% zu hoch ist. Wie beschrieben nachgemessen waren es 892km (einschließlich der von ihm angegebenen Verritte von 20km). Für die nicht genau beschriebenen Hin- und Herritte in den Städten als Abweichung der kürzesten Verbindungslinien braucht nicht mehr als 1-4km je Reittag, also maximal 64km insgesamt, hinzugerechnet werden da die Gasthöfe direkt an den Hauptstraßen gelegen waren. Insbesondere die Entfernungen im damaligen Böhmen sind ungenau angegeben (z.B. Karlsbad-Prag 167km statt der gemessenen 122km). Aus den von Brosig gekauften 1:200.000er Karten konnten die Direktentfernung nur sehr ungenau abgenommen werden. Auf welche Weise er zu seinen Entfernungsangaben kam verrät er nicht. Möglicherweise waren die alten Entfernungsangaben zu hoch. Vielleicht haben auch die damaligen Reiter mit den von ihnen gerittenen Kilometern schon etwas übertrieben - auch die heutigen Wander- und Distanzreiter tun das bisweilen noch.

Tagesetappen auf Karte

1. Tag (Forbach-)
2. Tag (Kaiserslautern-)
3. Tag (Seckenheim-)
4. Tag (Stümpfelbrunn-)
5. Tag (Tauberbischofsheim-)
6. Tag (Dettenbach-) 7. Tag (Burgebrach) 8. Tag (Bayreuth-)
9. Tag (Schirnding-)
10. Tag (Karlsbad-)
11. Tag (Horosedl-)
12. Tag (Prag-)
13. Tag (Kneczicek-)
14. Tag (Josefstadt-Glatz)


Tabelle der Tagesetappen



Anmerkungen

Allgemein
Leutnant Brosig's Buch las ich erstmals 90 Jahre nach Durchführung seines Rittes, als ich in dem Alter war wie er seinen Ritt vermutlich durchführte. Mittlerweile sind weitere 25-30 Jahre vergangen, und seine Art der Durchführung erscheint mir für einen langen Distanzritt immer noch vorbildhaft. Von den sonstigen Lebensdaten Brosig's ist mir nichts bekannt, nicht einmal sein Vorname. 1905 war er Hauptmann. Zum Ausbruch des 1. Weltkriegs muß er wohl 40-45 Jahre alt gewesen sein. Ob er diesen Wahnsinn hat ? - hoffentlich.
1) Brosig erwähnt dass er bei Einreichung des Urlaubs den beabsichtigten Ritt nicht angibt, ihn also nicht dienstlich sondern privat macht. Ohne ausdrückliche Erlaubnis hierzu wird er ihn auch nicht auf einem Offizierschargenpferd sondern auf dem ihm privat gehörenden, im Dienst genutzten Pferd durchgeführt haben können.
2) rumsey und-.--


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