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Neu Dezember 2016  (Update Mai 2018)

 

Wolf, Weidetier und Mensch

Erik Zimen, Mythos und Verhalten. 3. Aufl. Wien, München, 1980

Dr. Erik Zimen "Doch trotz Verwechslungen und magischen Denkens: allzu zahlreich sind die Berichte, allzu stark ist die Angst vor dem Wolf und dem Wald, allzu dominant der Wolf in der Mythologie, als daß die Vorstellung vom menschenfressenden Wolf einer realen Grundlage entbehren kann. Mit dem Vordringen des Menschen in den Lebensraum des Wolfs, mit der Besiedlung der Gebirge, mit der Rodung des Waldes, mit der Jagd und der großflächigen Vernichtung des Wildes kam es zur Konfrontation. In den kleinen Weilern und Dörfern waren die Menschen schlecht oder gar nicht bewaffnet. Durch Seuchen oder kriegerische Auseinandersetzungen starben Menschen auch außerhalb der Siedlungen. Die Wölfe nutzten vermutlich auch diese Nahrungsquelle. [...] Viele angenommene Wolfsüberfälle sind vermutlich auf das Fressen bereits toter Menschen zurückzuführen. Doch wenn an lebende sowie tote Menschen gewöhnt, und wohl auch in der Lage, zwischen gefährlichen und ungefährlichen Menschen zu unterscheiden, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass einzelne Wölfe gelernt haben, Menschen direkt zu reißen. Vor allem Kinder dürften für sie eine leichte Beute gewesen sein." (S. 272 f.)

"In Schottland mit seiner extensiven Schaf- und Rinderhaltung wurde der Wolf mit fortschreitendem Rückgang der Wildtiere womöglich zu einer noch größeren Plage [als in England; Anm. d. Red.]. [...] Zur Zeit Maria Stuarts soll die Wolfsplage so stark gewesen sein, daß man die Toten in manchen Gegenden nicht mehr auf den Kirchhöfen begrub, aus Angst, sie könnten von Wölfen wieder ausgegraben und gefressen werden. [...] Als besonders schlimm wurde der Zwang zum ständigen Hüten der Haustiere empfunden. Erst nachdem die Wölfe verschwunden waren, kam es zu der typischen schottischen extensiven Beweidungsform mit Tag und Nacht frei weidenden Tieren. [...] Daß die Schotten auch den Wolf zurückhaben wollen, ist [...] kaum zu erwarten nach all den bitteren Erfahrungen, die sie ihm gemacht haben."  (S. 281)

"Erst für den Viehzüchter wurde er zum Schädling; und nach dem Verlust seines natürlichen Lebensraumes war er sogar eine Zeitlang eine Gefahr für den Menschen." (S. 300)

"Aus strukturellen wie ökonomischen Gründen wird der Wolf natürlich nicht überall in Europa existieren können. Aber es gibt eine Vielzahl großer Gebiete, in denen er noch oder wieder leben könnte, in denen er genügend natürliche Beutetiere finden kann und auch Rückzugsgebiete zum Schutz vor den Menschen. Aus vielen dieser möglichen Gebiete ist er heute verschwunden. Die einstige Nutzungsform, meist extensive Weidewirtschaft, hatte seine Ausrottung [Verdrängung wäre hier der richtigere Begriff, d. Red.] notwendig gemacht. Diese Nutzungsform hat in den letzten Jahrzehnten aber vielerorts aufgehört, so in den großen Waldgebieten Schwedens und in Osteuropa wie in den Waldgebieten Mitteleuropas. Im Bayerischen Wald z. B. ist die Waldweide völlig verschwunden, die meisten Haustiere werden entweder im Stall oder während einiger Monate im Sommer in unmittelbarer Hofnähe gehalten. Dafür hat sich der Wildbestand reichlich entwickelt, zum Teil allzu reichlich. Entlang der bayerisch-böhmischen Grenze liegen große menschenleere Gebiete, die als Rückzugsgebiete bestens geeignet sind. Aus biologischer und auch aus land- und forstwirtschaftlicher Sicht besteht also kein Grund, warum nicht neben Reh und Hirsch hier auch Wolf, Luchs und Bär in begrenzter Zahl leben könnten. Ähnliches gilt für große Teile Skandinaviens und Finnlands (außerhalb der Rentiergebiete), für Polen, die Karpaten, das Riesengebirge und das Erzgebirge bis zum Bayerischen Wald und von dort weiter über die Ostalpen bis nach Jugoslawien." (S. 303 f.)

Dr. Erik Zimen (gest. 2003), Verhaltens- und Wolfsforscher, Mitarbeiter und Schüler von Konrad Lorenz, liefert eine realistische Sicht auf das Verhalten des Wolfs und seine Gefährlichkeit für den Menschen. Wenn heutzutage die Wolfsschützer gern betonen dass "es in Mitteleuropa seit 150 Jahren kaum zu Angriffen kam" lag das schlicht an Mangel an Gelegenheit und zu wenig Wölfe hierzulande. Wo sich Gelegenheit bot, da töteteten sie sogar Kinder wie 1977 in Delmenhorst.  Zimens Einschätzung zur Wiederansiedlung des Wolfs erscheint für die Zeit (1980) realistisch. Es wird zugleich deutlich, dass es ein "Miteinander" Mensch und Wolf in den Gebieten mit Weidewirtschaft nicht geben kann, sondern immer nur ein Gegeneinander. Auch wenn der Wolf (wenn der Mensch ihm nicht nachstellt) sich dort besser ernähren kann - nämlich von den Weidetieren - als in den Gebieten intensiver Land- und Feldfruchtwirtschaft, Agrarsteppen, die er rasch durchqueren muss ohne Chance zur Ansiedlung.
 
Seitdem Erik Zimen dies schrieb, hat sich in Deutschland und überhaupt in Mitteleuropa, viel verändert, was dem Wolf Gelegenheit zum Zuzug gab.
Zum einen verschwand der "eiserne Vorhang" zwischen Ost und West, der auch wolfdicht war (in der DDR wurden aus dem Osten zugewanderte Wölfe erbarmungslos und systematisch gejagt und erschossen). Zweitens, die Gebiete intensiver Landwirtschaft wurden laufend verringert, demgegenüber sich Grünland und Weidetierhaltung stark vermehrt haben - ohne die Spitzenwerte bei Ziegen und Schafen um 1880-1900 herum annähernd wieder erreicht zu haben.
Deutschland ist heute, wo die Energiepflanzen Mais und Raps nicht dominieren, beinahe schon so grün wie früher nur Irland. Nutztierhaltung im Stall gibt es kaum noch bzw. ist teilweise als tierschutzwidrig schon verboten. Diese Entwicklung ist ökologisch erfreulich, weil in der extensiven Weidewirtschaft es künstliche Düngung und Pestizideinsatz nicht gibt, und die Flächen sich naturnah entwickeln können -- liefert aber bezogen auf die ungehemmte "Wiederansiedlungspolitik" (Rewilding) von Großraubtieren einen Haufen Probleme. Die von denen, die vom Wolf profitieren, systematisch kleingeredet, oder umgedreht werden: Die Weidetierhalter sollen halt ihre Tiere besser schützen. Und diese Profiteure sind eine ganze Industrie: Wolfsberater, "Wildbiologen" (gern auch ohne Biologiestudium), Produzenten kuschliger Bilder, Bücher und Filmchen, Spendensammler, und profitabler noch: Sammler von Naturschutz- und EU-Flächenzuschüssen, Sammler von durch den Staat geschenkten Landes (z.B. ehemaliger Truppenübungsplätze). All diese lieben den Wolf und hätten gern mehr davon, denn der Wolf eignet sich wie kein zweites Symbol für den Zivilisations- und Stadtmensch mit SUV in der Garage und Präferenz für Flug- oder Kreuzfahrturlaube Abbitte zu tun. Denn auch der moderne Mensch hat das Bedürfnis nach Abbitte, freilich nicht mehr in der Kirche und zugunsten der Armen, sondern für die immer ach so gute Natur, die alles besser zu richten weiß wie der Mensch, und den Götzen Klimawandel. Und wer nicht spenden kann, für den genügt es auch den Wolf einfach nur gut zu finden.

Erik Zimen hätte sich dem heute um den Wolf gemachten Bohei kaum angeschlossen. Er hätte genau wie 1980 darauf verwiesen, dass der Wolf bei ungenügendem Lebensraum dem Menschen gefährlich werden kann, auch heute noch. Wie ungenügend dieser Lebensraum für ein oft weite Strecken wanderndes (Wald-) Tier wie der Wolf ist, zeigen die vielen auf den Straßen überfahrenen Wölfe heute. Und bezüglich der Qualität Deutschlands als Lebensraum für den Wolf hatte auch Zimen keine Illusionen: Nicht anders als in seinem wichtigsten Buch, vertrat auch er noch kurz vor seinem Tod die Ansicht, daß in Deutschland nur sehr begrenzt bis gar kein Platz für freilebende Wölfe wäre (pers. Mitteilung, Mathias Vogt, Hövelhof). Dies könnte sein: der Bayrische Wald (groß genug zusammen mit dem von bäuerlichen Siedlungen nach 1945 entvölkerten Böhmerwald, und ohne bäuerliche Weidetierhaltung) und die größten Truppenübungsplätze (mit Flächen ab 150-200 km² aufwärts). Auf letzteren könnte der Wolf in Deutschland immerhin ungestörte Refugien finden. Eine (naturschützerisch wertvolle) Bestandserhaltung wäre auf den fragmentierten Flächen zweifelhaft, weil Austausch- und Wanderungsmöglichkeiten fraglich sind, und durch die Nähe zu menschlichen Siedlungen Vermischung mit Haushunden (Hybridisierung) droht.     

Erik Zimen, bettelnder Wolf

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