TAUNUSREITER
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Neu Juni 2015
Über das Anreiten, den richtigen
Gebrauch des inneren und äußeren Schenkels, die Vermeidung der
s.g. „natürlichen Schiefe“, die Benutzung des Sporns und
Seitengänge
(..)Auf einen Fehler möchte ich hinweisen, der beim ersten
Anreiten unserer Remonten fast allgemein begangen wird, der
Dressur und ihrem Fortschritt aber große Schwierigkeiten in den
Weg legt, weil er Widerstände erst schafft, welche bis dahin nicht
vorhanden waren, Missverständnisse hervorruft, welche leicht zu
vermeiden wären.
Geradeausreiten
Da wird zunächst für das rohe Remontenpferd
in der Regel das Geradeausreiten als
erste Lektion hingestellt. Nun weiß aber jeder
Sachverständige, wie schwer ein wirkliches Geradeausreiten
ist. Ein solches setzt nicht nur eine ganz gleichmäßige Anlage der
Ganaschen an den Hals, sondern auch einen schon geregelten Gang
der Gliedmaßen, eine genaue Folge voraus, also gerade das, was
beim rohen Pferd noch gar nicht vorhanden ist. Dazu kommt,
dass dem Reiter selbst dann, wenn er mit zwei Gerten arbeitet, wie
dies manche wollen, dennoch keine geradeauswirkenden Hilfen zu
Gebote stehen. Wird nun noch das Anlegen der, dem Pferde bis
dahin unbekannten Schenkel hinter dem Gurt empfohlen, so sind alle
Vorbedingungen zu den verschiedensten Missverständnissen und
Widersetzlichkeiten des Tieres gegeben: Drücken in die Hand,
Verwerfen und Verdrehen des Genicks, Ausfallen mit der Kruppe und
Schlagen nach den Schenkeln sind die Folge, die Dressur beginnt
mit Unfrieden, und es stellen sich durch falsche Kompromisse
zwischen Ross und Reiter Übelstände ein, welche später mit Mühe
wieder beseitigt werden müssen. 1)
Reiten auf einem
großen Zirkel
Das alles wird vermieden, wenn
man das rohe Tier in einer umzäunten Bahn - am besten einem Zirkel
von 120m Durchmesser, jedenfalls bei einer möglichst großen
Bahn die Ecken mit dem halben Breitendurchmesser derselben als
Radius abrundend, mit dem inwendigen (inneren) Schenkel
allein anreiten lässt. Wird letztere anfangs in seiner
Wirkung noch durch die ebenfalls mit der inwendigen Hand hinter
dem Gurt leicht angewendete Gerte unterstützt, so lernt das Tier
die vortreibende Wirkung dieses Schenkels umso schneller
verstehen und befolgen, je mehr der betreffende Reiter befähigt
ist, denselben in Harmonie mit den zum Vorbewegen des betreffenden
Hinterschenkels sich zusammenziehenden Muskeln zu gebrauchen, wie
dies weiter oben angegeben wurde. Dies ist für ihn aber umso
leichter, als der auswendige Schenkel vorerst völlig
untätig im Bügel ruhen, in den ersten Stunden keinerlei Wirkung
auf das Tier versuchen, sondern nur sanft an den Gurt angelegt
werden soll, in dem Maße wie das Tier dieses willig verträgt. Ist
letzteres anfangs nicht der Fall, so lässt ihn der Reiter einfach
im Bügel ruhen, ohne vom Knie abwärts das Pferd zu berühren. Die Kopfstellung wird vor dem Anreiten mittelst
der Zügel so geregelt, 2) dass der Reiter
wenigstens das innere Auge und Nasenloch schimmern sieht, wobei es
durchaus nicht schadet, wenn etwas mehr geschieht und z.B. auch
der dritte und selbst das Gelenk zwischen diesem und dem vierten
Halswirbel teilnimmt, wenn nur die Kopfstellung einwärts gewahrt
bleibt.
(Anm. des
Autors:) Dieses Verfahren beseitigt auch die so genannten „natürliche
Schiefe“ des Pferdes bzw. lässt sie gar nicht erst
aufkommen. Denn die sogenannte „natürliche“ Schiefe ist in der
Tat ein Kunstprodukt, dadurch hervorgerufen, dass der Reiter
dem festeren Auf-die-Zügel-legen des Pferdes auf seiner harten
Seite – die bei fast allen Pferden vorhanden ist – anfangs
noch nicht durch schärferen Schenkeldruck entgegentreten kann.
Bei nachhaltigem inneren
Schenkelgebrauch und nach innen gestelltem Hals gibt es
keine „natürliche Schiefe“, und die Pferde werden bald auf
beiden Seiten gleich weich. 3)
Ich halte es daher für vorteilhaft, auch ganz gewandte Reiter in
den ersten Wochen ohne Sporn reiten zu lassen, damit die rohen
Tiere nicht durch einen zufälligen Spornstich irritiert
werden. Das bekannte, gut gerittene alte Tetenpferd
erleichtert die Einleitungsarbeit sehr, und es wäre töricht, sich
seiner nicht zu bedienen.
Indem die Tiere nun auf beiden Händen
diese vortreibende Wirkung des inneren Schenkels bei Kopfstellung
einwärts im Schritt und Trabe kennen lernen, werden nicht nur
falsche Biegungen im Halse und den Ganaschen leicht vermieden,
sondern auch von vornherein ein sicherer Gehorsam in Bezug auf den
inwendigen Schenkel erreicht. Dieses Resultat aber kann von
einigermaßen gut qualifizierten Remontereitern in 14 Tagen d.h.
(die Sonntage als Ruhetage abgerechnet - mehr Ruhetage bei
gesunden Tieren wären Verderbetage) in 12 Reitlektionen von pp. 1
½ Stunden, so sicher erreicht werden, dass das Tier dann im
Notfalle auch im Freien, wo die Gegenwirkung einer Bande
oder Wand gegen das Ausfallen mit der Kruppe fehlt, ohne Mühe zu
reiten ist. Sollte es z.B. erforderlich sein, es auf einer
Landstraße zu reiten, so stellt man es, falls der Reitweg an der rechten
Seite der Straße läuft, links und treibt es mit dem
linken Schenkel, oder, falls man es an der andern Seite der Straße
reiten muss, stellt man es rechts und treibt mit dem rechten
Schenkel.
Ein vollkommen gewandter, seiner Schenkelhilfe
in bewusster Weise sicherer Reiter würde nun auch imstande sein,
das Tier schon mit beiden Schenkeln, indem er dieselben in dem
weiter oben angegebenen Sinne abwechselnd zum Vortreiben des
betreffenden Hinterbeins gebraucht, im Gange zu treiben und so auf
die vortreibenden Hilfen der vereinigten Schenkel sicher zu
machen.
Ich widerrate dies jedoch aus zwei
Gründen: 1. weil es nur sehr wenige Reiter gibt, welche
eines so genauen Gebrauches der Schenkel sicher sind, und 2. weil
der Mitgebrauch des auswendigen Schenkels alle die Widerstände,
welche im Genick, Ganaschen und Halse des Tieres noch vorhanden
sind, vermehrt hervortreten lässt und daher auch den Widerstand
des Tieres herausfordert.
Ich halte es vielmehr für zweckmäßig, sowohl um
nunmehr die erste Halsarbeit im Gange vorzunehmen – dass
diese im Stehen und im Stalle durch Abbiegen, Abbrechen
usw. in bekannter Weise schon inzwischen stattgefunden hat, ist
selbstverständlich – als um den Gehorsam gegenüber dem Schenkel zu
befestigen, zu der vortreibenden Hilfe des inneren Schenkels
dessen seitwärts treibende hinzuzufügen, ehe und bevor diese
letztere durch die Gegenwirkung des äußeren Schenkels verschärft
wird.
Man beginne also das Tier mittelst der Zügel
mit der Vorhand, zunächst eine halbe, später eine Hufbreite,
schließlich zwei Hufbreiten, oder 15-20 cm in die Bahn zu stellen
und den inneren Schenkel seitwärtstreibend wirken zu
lassen, also eine Art mäßigen Schulterhereins (meine
Anm.: heute manchmal als "Schultervor"
bezeichnet) zu reiten, bei welchem nur der
innere Schenkel vorherrschend vorwärts, und etwas seitwärts
wirkt. Zunächst werden in dieser Weise natürlich nur wenige
Tritte im Schritt zu erlangen gesucht, auf alle Fälle das Tier
sofort wieder auf den Hufschlag geführt, falls es in die Bahn
drängen sollte. Erst später, je mehr das Tier die Übung richtig
ausführt, lässt man es mehr Tritte machen, allmählich bis zu 15-20
dergleichen, höchstens die Länge der kurzen Wand. Nachdem es
im Schritt Sicheres geleistet, wird ganz ebenso im Trabe
(natürlichen Mitteltrabe) vorgegangen. Legen die Tiere,
willig vor dem Schenkel vorwärts-seitwärts gehend, 15-20 Tritte
auf beiden Händen zurück, so können die Früchte dieser Lektion
nicht ausbleiben!
Als solche sehe ich an: 1. dass das Pferd
die gegenhaltende und führende Wirkung der äußeren Zügels kennen
lernt, ohne welche es ja nicht imstande sein würde- wenn auch nur
in mäßiger Haltung auf der Vorhand - diesen Gang zu leisten; 2.
dass es ganz von selbst in dem Maße, wie es allmählich mit der
Vorhand in die Bahn (schließlich bis zu zwei Hufbreiten) geführt
wurde, freiwillig den auswendigen Schenkel aufsuchen, an ihm
Stütze nehmen und ihm vertrauen lernt.
Alsdann ist man auch imstande, dem Tiere
die stellende Wirkungdes äußeren Zügels und die vor-
und seitwärtstreibende des äußeren Schenkels kennen zu
lehren. Der stellenden Wirkung des äußeren Zügels wird es
ohne weiteres folgen, wenn der innere zunächst entsprechend
nachgibt, dann aber stützt und führt, da es dann in derselben
nichts Neues sieht, aber es wird auch ganz von selbst jetzt
erwarten, mit dem äußeren Schenkel getrieben zu werden, da es ja
gewöhnt ist, stets auf der Seite dem Schenkel zu folgen, wohin es
gestellt ist. Dass der innere Schenkel zunächst, ohne die
dem Tiere ja bekannte Führung aufzugeben, sich passiv verhält,
wird die Aufgabe des äußeren Schenkels erleichtern, und, indem
dieser die Hinterhand um ein sehr weniges – wieder zunächst nur
eine halbe Huf- später ein Huf, dann zwei Hufbreiten – in die Bahn
seitwärts drückt, bezweckt und erreicht er im Grunde nur, dass ihn
das Pferd nun auch auf der äußeren Seite ebenso kennen und
respektieren lernt, als er dies auf der inneren Seite schon getan
hat. (Also eine Art leichteren „Kruppehereins“.)
Binnen 4-6 Wochen erlangt man so in ganz
folgerichtiger Weise und fast ohne alle Opposition eine willige
Anlehnung an das Gebiss bei deutlicher Unterscheidung des
führenden und stellenden Zügels durch das Tier, Folgsamkeit gegen
beide: inneren wie äußeren Schenke, und deren vorwärts- wie
seitwärtstreibenden Hilfen, wenn einer derselben vorherrschend
gebraucht wird. --
Der vereinigte Gebrauch beider Schenkel
geschieht am besten zunächst wieder auf dem großen Zirkel, und
unter Vorherrschen des inneren Schenkels. Der
äußere muss zunächst nur wie ein nasser Sack hinter dem Gurt an
dem Pferde gleichsam kleben, und gibt sodann von hinten nach vorne
schraubend-schiebenden Druck, anfangs nur leise und – noch nicht
regelmäßig bei jedem Untersetzen des äußeren Hinterfußes, sondern
– gelegentlich, wenn das Tier recht willig dem inneren
Schenkel in den äußeren Zügel hinein folgt, gleichsam diesen Schub
durch ein sanftes Schieben gegen den inneren Zügel
ausgleichend. Ganz allmählich wird diese Hilfe öfter und
öfter wiederholt, bis sie ganz zuletzt regelmäßig bei jedem
Untersetzen des äußeren Hinterfußes erfolgt bzw. diesen vermehrt
unter den Leib schiebt.
Je sorgsamer und richtiger diese Gewöhnung an
die zusammenschiebende Wirkung des auswendigen Schenkels auf dem
großen Zirkel erfolgt, desto mehr wird die ganze folgende Dressur
vorbereitet und erleichtert, da fast alle Widersetzlichkeiten mit
Ungehorsam gegen den äußeren Schenkel beginnen, während umgekehrt
ein Pferd, welches, dem auswendigen Schenkel stets folgsam, in den
inneren Zügel hineingeht, ohne große Mühe zu allem zu bringen ist!
Ist dieser Gehorsam gegen den
vortreibend-zusammenschiebenden Druck des äußeren Schenkels auf
beiden Händen auf dem großen Zirkel erreicht, dann erst ist es an
der Zeit, das Tier dauernd auch auf dem Hufschlage mit beiden
Schenkeln zu reiten, und nunmehr durch viele
Zusammenschiebungen, halbe Paraden usw. immer mehr auf
Haltung und Gleichgewicht auf der Mittelhand hinzuarbeiten.
Ich habe von diesem System des Anreitens stets nur die
vorzüglichsten Erfolge, Vermeidung von „Balgereien“ und
Widersetzlichkeiten, sehr fromme, folgsame, flott gehende Pferde
und ein rasches und durch keinerlei Zwischenfälle unterbrochenes
Vorschreiten der Ausbildung gesehen.
(Meine Anm. Bitte
hier beim Lesen für einen Moment innehalten : Haben Sie
schon das Wort "Geraderichten" irgendwo im Text
gelesen? - Nein? - Ich auch nicht. Und warum nicht?
Steinbrechts' goldenen Worte "Reite Dein Pferd vorwärts und
richte es gerade!" waren hier schon 25 Jahre bekannt...
Falls Sie es nicht schon erraten haben sag ich's Ihnen: Ein
solcherart, wie Spohr es beschreibt, gerittenes Pferd, ist so
gerade wie ein Pferd als nicht perfekt symmetrisches
Geschöpf nur irgend sein kann -- und das vollständig ohne Geziehe und
Gezwirbel! In jedem Fall gerade genug, dass das
Reiten ihm körperlich nicht schadet, - nur deshalb
reitet man es ja gerade, nicht aus irgendeinem
Genauigkeitsfimmel - und es bleibt dabei durch den Schenkel
bei Bedarf jederzeit korrigierbar.)
Von wem dieses System herrührt, das
ich auch stets als Grundlage der Korrektur bei verdorbenen und
verrittenen Pferden mit vollständigem Erfolge zur Anwendung
gebracht – ich glaube nicht , dass es im Herzog v. Newcastle, in
La Guérinière, Sohr’scher Reitinstruktion, Seidler, Krane,
Seeger, Baucher oder in den zahlreichen neuen Schriften –
namentlich Otto Digeon v. Montetons – geschrieben steht, -
weiß ich nicht, glaube aber, dass es der Deutschen
Reitinstruktion, zwischen deren Zeilen es vielleicht zu lesen ist,
in keiner Weise widerspricht, und habe es so wie hier beschrieben,
seit 55 Jahren ausgeübt und erprobt, mich im Übrigen durchaus an
die altbewährte preußische Tradition haltend. Nur in
zwei Punkten habe ich diese zu vervollkommnen oder auf meine Weise
auszuüben versucht, was ebenfalls so gute Resultate gehabt hat,
dass ich mich hier über dieselben umso mehr äußern zu dürfen
glaube, als auch in dieser Richtung viele Sünden gegen die
„Kondition“ begangen werden, ja durch falsches Verfahren in der zu
erörternden Richtung viele Pferde in ihrer Brauchbarkeit sehr
gemindert und zuweilen völlig unbrauchbar werden.
Über den Gebrauch des
Sporns
Ich meine zunächst den Gebrauch des Sporns.
Erst wenn im Verlauf von 8-10 Wochen die obige
Gewöhnung und Folgsamkeit der Remonten gegen beide Schenkel
erreicht war, habe ich die Remontenreiter mit Sporn reiten lassen,
von da aber auch systematisch auf die Gewöhnung der Pferde an
Spornhilfen hingearbeitet.
Ich habe im Sporn immer nur eine verschärfende
Schenkelhilfe und nur insofern eine solche, gerade wie starke
Genick- oder Ganaschenbiegung oder Halsbiegung mittelst der Zügel,
Zurücktretenlassen oder ein anstrengender Seitengang eine Strafe
für das Tier sein kann, welches in dieser oder jener Richtung dem
Reiter sich zu entziehen versucht, kann man im selben Sinne den
Sporngebrauch als Strafe gelten lassen – aber immer nur, nachdem
er vom Pferde als Hilfe gekannt uns vollkommen
respektiert ist.
Wer den Sporn als Strafe gebraucht, bevor ihn
das Pferd als Hilfe kennt und ihm völlig gehorcht, verdirbt das
Pferd nicht nur für den Gebrauch des Sporns, sondern auch für den
des Schenkels. Nachstehende Methode, das Tier mit dem
Gebrauch des Sporns bekannt zu machen, hat sich bei mir durchweg
als sicherste erprobt:
Zunächst ist das Pferd mit der Spornwirkung als
einer einfachen Hilfe zum Seitwärtstreten bekannt zu machen. Das
geschieht am besten bei Übung der Wendung um die Vorhand
mit Kopfstellung nach inwendig, also auf den inwendigen
Sporn. Indem das Pferd vor ihm weicht, wobei der Sporn nur
einfach durch entsprechende Biegung der Ferse angelegt wird,
folgt es ihm in der vom Reiter gewollten Weise. Wehrt
sich das Tier gegen den ganz ruhig und gelinde gebrauchten Sporn,
indem es danach schlägt, sich nach dem Schenkel umsieht oder in
irgend einer andern Weise, so wird es mit der Hand gestreichelt
durch Zureden beruhigt, aber dabei der Sporn sofort aufs Neue,
nicht etwa stärker, eher schwächer, gebraucht. Es gilt, dem Tier
begreiflich zu machen, dass es den Sporn dulden und ihm gehorchen
soll, obgleich er ihm einen kleinen Schmerz verursacht.
Duldet es den Sporn, und weicht ihm, so ist es zu beloben, mit
einem Stückchen Brot oder Mohrrübe zu belohnen. Es muss
durchaus dahin gebracht werden, auch in dem Sporn nur eine gute
Absicht und eine von dem ihm als wohlwollend bekannten Reiter
gewollte Hilfe zu erkennen. Allmählich wird die volle
Kreiswendung in 8-10 Tritten auf gelinde Spornhilfen
gemacht. Ist so auf beiden Händen das Tier in der Wendung
auf den Sporn sicher, so wird letzterer nunmehr,
vorwärts-seitwärts wirkend, zunächst auf dem großen Zirkel, dann
auf dem Hufschlage gebraucht. Ist das Pferd darauf sicher,
dann erfolgt die Anwendung des Sporns auf der auswendigen Seite
zunächst in einem dem Kruppeherein ähnlichen Gange, dann auf dem
großen Zirkel, das Pferd von hinten nach vorn, statt mit dem
auswendigen Schenkel, mit dem Sporn schiebend. Folgt es dem
auswendigen Sporn auf dem großen Zirkel nun ebenfalls ganz willig,
so kann nunmehr der beidseitige Sporn, als schärfere Schenkelhilfe
bei halben Paraden, und später aus schärfste Schenkelhilfe bei
ganzen Paraden auf dem Hufschlage gebraucht, das Tier zwischen den
Sporen pariert werden.
Selbstverständlich wird der Sporn stets nur aus
der Ferse und niemals hauend, sondern immer nur ruhig drückend, so
viel als nötig, gebraucht.
Der spätere Gebrauch des Sporns bei den
eigentlichen Seitengängen, namentlich im abgekürzten Trabtempo, im
Galopp und bei Paraden aus dem Galopp, sowie beim Springen, ist so
in wirksamster Weise vorbereitet, bietet keinerlei Schwierigkeiten
mehr und erleichtert die richtige Einwirkung des Reiters im
höchsten Grande. Dahin aber muss jedes
Militärpferd gebracht werden, und jeder militärische
Reiter muss den Sporn so zu gebrauchen verstehen.
Eine höhere Kunst des
Sporngebrauchs ist sogar imstande, auch das phlegmatischste Tier
als feurigstes Rassepferd erscheinen zu lassen, und umgekehrt
feurigste Rassepferde in frömmste Lämmer zu verwandeln.
Über
Seitengänge
Es bleibt nur noch übrig, einige Worte über
Seitengänge zu sagen, in denen man bald für die Pferde eine
Ursache von Gelenk- und Sehnenleiden, bald für die Reiter eine
Klippe bezüglich der Herrschaft über das Pferd erblickt.
Werden die Anfänge zu den Seitengängen so
eingeleitet wie oben geschildert, dann werden selbst einzelne
Fehltritte zu den größten Seltenheiten gehören, und werden
wirkliche schädliche Folgen solcher Fehltritte so behandelt, wie
vorn bei 3A unter Bein- und Hufpflege angedeutet, so werden sie in
kürzester Frist stets vollständig beseitigt sein und niemals auch
nur Spuren zurücklassen.
Liegt sonach keinerlei Grund zu Besorgnissen
für die Grundlage der „Kondition“, die Gesundheit des Pferdes vor,
sobald Seitengänge nur in systematischer, von leichterer zu
schwerer, von kürzerer zu längerer Übung vorschreitender Weise
betrieben werden, so wird andererseits nicht geleugnet werden
können, dass ihre richtige und gründliche Übung
für die „Kondition“ selbst von höchster Bedeutung und dass die,
wie wir sagen, dem Militärpferde so höchst wichtige harmonische
Ausbildung aller Muskeln auch nur durch eine gleichmäßige Übung
aller Seitengänge, mindestens im Schritt und kurzen Trab auf
beiden Händen zu erreichen ist.
Es müssen demnach geübt werden: Schulterherein
und Kruppeherein, Travers und Renvers.
Es ist nun sehr merkwürdig zu sehen, wie je nach der Mode und
Nationalität bald der eine, bald der andere dieser Seitengänge für
schwieriger erklärt und aus den Lektionen ausgemerzt wird.
So reiten die Franzosen in der der Kavallerieschule zu Saumur
gegenwärtig nur Travers und Renvsers, während Schulterherein und
Kruppeherein völlig ausgeschlossen sind. Bei uns werden
Schulterherein und Kruppeherein bevorzugt und die ihnen
ausgleichend gegenüber stehenden Gangarten vielfach
vernachlässigt. Warum? Das erscheint mir nicht
klar. Denn jede dieser Seitengänge hat seinen besonderen
Wert und jeder derselben ist gleich schwer richtig zu reiten, und
kann ebenso leicht zu Fehlern Veranlassung geben.
Erwägt man aber, was für Muskeltätigkeit jeder
dieser Seitengänge übt und ausbildet, so sieht man, wie sie sich
gegenseitig ergänzen, wie sie alle nötig sind, wenn keine Lücke
bleiben soll, und wie alle Schwierigkeiten nur dadurch
hervorgerufen werden, dass man eben solche Lücken entstehen lässt.
Der charakteristische Unterschied zwischen Schulterherein
und Kruppeherein einer- wie Travers und Rennvers
andererseits besteht darin, dass bei den ersteren beiden Gängen
die Bewegung von der hohl (zusammen) gebogenen Seite nach der
konvex gedehnten (auseinandergebogenen) Seite hin geht, und in
dieser Richtung auch das Gewicht des Reiters, also von der
zusammengezogenen nach der gedehnten Seite hin wirkt, während beim
Travers und Renvers das Entgegengesetzte der Fall ist. In
den erstgenannten Gängen wirken daher die Muskeln und Gelenke der
zusammengebogenen Seite freier, in den letzteren die ausgedehnten.
Jene üben daher mehr das freie und weite Vorgreifen bzw.
Untersetzen der Beine der zusammengebogenen Seite, diese mehr das
federnde Abstoßen bzw. Abschieben der Gliedmaßen der
auseinandergebogenen (konvexen) Seite.
Hinwiederum ergänzen sich auch Schulterherein
und Kruppeherein, sowie Travers und Renvers unter sich, und zwar
durchaus nicht in dem Sinne, dass z.B. Kruppeherein auf der
rechten Hand durch Schulterherein auf der linken, oder Renvers auf
der linken Hand durch Travers auf der rechten zu ersetzen
wäre. Der prinzipielle Unterschied, der in dieser Beziehung
besteht, tritt nämlich in seiner vollen Größe nur auf dem Zirkel
bzw. beim Eckenpassieren hervor, indem im Schulterherein und
Renvers die Vorhand den kleineren, die Hinterhand den größeren
Kreis beschreibt, während beim Kruppeherein und Travers
bekanntlich das Umgekehrte der Fall ist. Derjenige
Körperteil aber, welcher den größeren Raum zurücklegt,
zeigt auch eine vermehrte Tätigkeit seiner Gliedmaßen im Fördern,
der, welcher den kleineren Raum zurücklegt, im Stützen der
Last, wodurch sich im Einzelnen für die Übung der verschiedenen
Gliedmaßen wieder ganz bestimmte Unterschiede ergeben.
Aber auch auf dem geraden Hufschlage, wo
Kruppeherein bzw. Renvers der einen mit Schulterherein bzw.
Travers der anderen Hand in der Tat dieselbe Bewegung darstellen,
existiert in bedeckten oder umzäunten Bahnen noch ein wesentlicher
Unterschied in der durch diese dem Reiter geleisteten
Unterstützung seiner Absichten: für in die Zügel drängende Pferde
leistet die Bande im Kruppeherein und Travers, für sich von dem
Zügel verhaltende im Schulterherein und im Renvers dem Reiter eine
nicht zu verachtende Beihilfe.
Endlich kommt noch die Zügel- und die durch sie
bestimmte Kopf- und Halsarbeit in Betracht. Indem bald der
stellende, bald der führende Zügel zu stärkerer Wirkung gelangt,
je nachdem die Bewegung mehr in den ersteren (beim Travers und
Renvers) oder in den letzteren (beim Schulterherein und
Kruppeherein) hineingerichtet ist, wird auch mehr die, die Genick-
und Halsmuskeln der hohl gebogenen Seite abspannende und
weichmachende, oder die, die gedehnten Muskeln der voll (konvex)
oder auseinander gebogenen Halsseite aufrichtende und
zusammenstellende Wirkung der Zügel in den Vordergrund treten.
Kurz, wer die harmonische Ausbildung des
Reitpferdes für nötig erachtet, der muss auch die sich ergänzende
Übung aller Seitengänge wollen. Die in dieser Beziehung
hervortretenden Schwierigkeiten sind in der Tat immer nur
Schwierigkeiten des Muskel- und Gliederbaues der betreffenden
Pferde, und dürfen eben darum nicht umgangen, sondern müssen
ausgeglichen und geebnet werden.
Zum Schlusse dieser Erörterung über Seitengänge
würde wohl noch vor dem so häufig begangenen Fehler zu flacher,
wie zu scharfer Hereinstellung der Vor- bzw. Hinterhand in
die Bahn zu warnen sein:
Immer muss festgehalten werden, dass die
Vorwärtsbewegung über das Seitwärtstreten zu überwiegen hat, dass
daher eine um etwa einen Fuß (30cm) vom Hufschlag abweichende
Hereinstellung der Vor- und Hinterhand im allgemeinen das als
nützlich anerkannte Maß darstellt, welches natürlich nur
allmählich, je nachdem die Vervollkommnung der Seitengänge
vorschreitet, im allgemeinen nicht überschritten werden
darf. (Richtiger ist es wohl, die Stellung des Pferdes zum
Hufschlage nach Graden des Winkels zu bemessen, welche die
Mittellinien des Pferdes mit dem Hufschlage bilden. Der
Winkel von 30° zum Hufschlage entspricht etwa der Abweichung der
Vorhand zur Hinterhand von einem Fuß/30cm. Über 45° darf die
Hereinstellung von Vor- und Hinterhand niemals gehen, und selbst
diese ist nur bei Vorbereitung von Pferden zur Hohen Schule
erforderlich.)
Schärferes Übertreten bis zu 45° betont zwar
mehr einen der Hauptzwecke der Seitengänge, die Biegung der
Hinterhand, gibt aber auch zu Kronentritten, Fesselverstauchungen
und Schädigungen der Sprunggelenke Veranlassung!
Zu flaches Reiten der Seitengänge legt die
Pferde meist zu fest auf das Gebiss, da es seine mächtigen
Halsstrecker zu sehr in, bzw. gegen die Hand des Reiters wirken
lässt.
Wo Pferde, weil sie die seitwärtstreibende
Wirkung des Schenkels nicht gehörig respektieren, in dieser
Beziehung besonders geübt werden sollen, empfehlen sich hierfür
die Kreiswendungen auf der Stelle um die Vorhand, sei es in
Stellung oder Gegenstellung.
---
Eigene
Anmerkungen (Juni 2015)
1)
Spohr schreibt es nicht explizit, aber aus
dem Gesagten geht es doch klar hervor: Nicht Geraderichtenist die erste und wichtigste Lektion der
Pferdeausbildung, sondern Vorwärtsreiten. Erst
das Vorwärts, dann die Geraderichtung.Steinbrecht
drückt dies, wiewohl er vor "übereilten Gängen" warnt,
deutlicher aus:"Vorwärts'
ist die Losung in der Reitkunst, wie im ganzen
Weltall. Es müssen daher daher dem Reiter mehr Mittel zum
Vorwärtstreiben, als zum Verhalten zu Gebote stehen
(Gymnasium des Pferdes, 1885, S.19)"
2) Mit Respekt,
Herr Oberst, Einspruch! Haben Sie das wirklich so gemacht?,
auch wenn Sie Ihr Pferd allein ohne Zuschauer
geritten haben? Ist hier nicht ein bisschen militärischer
Ordnungsfimmel dabei, oder schreiben Sie hier nicht ein
bißchen für Reitunterricht gebende Unteroffiziere? Ist das
nicht, was Sie ansonsten auch immer bekämpfen, Reiten von
vorne nach hinten?
Als nichtmilitärischer Reiter, der ich bin, mache ich
das lieber so: Ich reite das Pferd mit dem (egal welchem)
Schenkel an, mit fast ganz losen Zügeln. Das Pferd soll dabei
den Kopf nicht höher nehmen, sondern nach ein paar Schritten
senken, sich nach vorwärts-abwärts dehnen, und dabei
ordentlich ausschreitend weiter gehen. Zur Unterstützung kann
man ihm den Halsansatz etwas kraulen und mit leichtem
Vorbeugen des Oberkörpers den Rücken entlasten, dabei mit
Gewicht bzw. Schenkel leicht treiben. Wenn es den Kopf dann
wieder etwas höher nimmt, sonst frühestens nach einer halben
Minute, nehme ich die Zügel leicht an, den inneren etwas
stärker, den Sitz nun etwas mehr belastend bei weiter
gegebener Schenkelhilfe, und nehme das Pferd (erst dann!) in
ganz leichte Stellung wie von ihnen beschrieben.
3) Dass die s.g. "natürliche Schiefe"
in der Tat ein Kunstprodukt
fehlerhaften/übertriebenen Geraderichtens ist,
vermutlich durch Reiter die selber schief sind, scheint
auch noch 100 Jahre nach Spohr zuzutreffen. Genau wie
diejenigen, die am lautesten nach Geraderichtung rufen,
oft die am meisten schiefen Pferde haben.
Pferde die auf großen Weiden, und nicht etwa in Boxen
oder Mini-Paddocks leben und aufwachsen, und ihre
Jungpferdeausbildung als Handpferd auf beiden Seiten
genossen haben (womit sie die von Spohr
beschriebene Innenstellung schon
kennenlernen), haben in den meisten Fällen noch eine
"Lieblingsseite", aber selten so ausgeprägt, dass man
sie deshalb als "schief" bezeichnen sollte. Wie Studien
an wildlebenden Pferde gezeigt haben, sind diese
verglichen mit typischen Reit- und Nutzpferden sehr
wenig schief, was man vor allem auch an ihren Hufen
sehen kann. Es ist eine Binsenweisheit und bedarf keiner
näheren Ausführung, dass kein größeres
Wirbeltier wirklich hundertprozentig symmetrisch und
gerade ist. Wir Menschen sind es am allerwenigsten.
Um eine gleichmäßige Ausbildung beider Seiten
des Pferdes zu unterstützen, sei der Reiter bemüht, alle
Handhabungen auf beiden Seiten
durchzuführen, es also regelmäßig auch mit der linken
Hand zu führen oder von rechts aufzusteigen. Dabei wird
er merken, wie schief er selbst ist. Und wer dazu noch
etwas "Handarbeit" am aufgezäumten Pferd macht, die
Spohr als "Abbrechen an der Hand" empfiehlt, wird mit
der "Händigkeit" seines Pferdes (wie ich sie
mit BLENDINGER
vorziehe zu nennen, und physiologisch und psychologisch
wohl richtiger ist) selten echte Probleme in der
Reitpferdeausbildung bekomme. Das ist dann auch der
Grund, weshalb ich all meine Reittouren grundsätzlich rechts-
wie, was den meisten lieber ist, linksherum
reite. Immer weiß auf welcher Hand mein Pferd im Gelände
galoppiert, aber mit dem Angaloppieren auf der
korrekten Seite im Gelände nicht vor dem 2. oder 3.
Ausbildungsjahr besonders penibel bin. Bevor man dem
Pferd das Angaloppieren auf beiden Händen lehrt, ist es
doch wichtiger, ihm die richtige Haltung beim
Galoppieren zu lehren bzw. nahezubringen. Und damit
beginnt man natürlich und selbstverständlich auf der
Seite, wo es gern galoppiert, und sich am
"sichersten" fühlt...