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TAUNUSREITER (c) dieser Bearbeitung Frank Mechelhoff 2005, 2009 - Kopien speichern nur zum privaten Gebrauch zulässig Verwendung von Bildern und Texten in anderen Websites oder zu geschäftlichen Zwecken ohne meine schriftliche Genehmigung nicht gestattet Kontakt: taunusreiter "at" yahoo.de Neu 14. März 2006, update 23. Aug. 2009 |
Deine 10jährige Stute, die locker den Weg am Rande des Tannenhügels entlangeilt und der 3000-km-Wertung als Top-Ten-Pferd entgegengaloppiert, arbeitet wie eine perfekt synchronisierte Maschine, bewegt sich wie das fließende Wasser und glänzt wie der Sonnenschein. Du spürst keine Einzelteile. Dein Pferd ist ein vollkommenes Ganzes.
Aber leider war es nicht immer so. Erinnerst du dich an den herzigen Balg, den du vor sieben Jahren gekauft hast? Ein Flaschen-Fohlen, schlank wie eine Robbe, die absolute Herrscherin über den Paddock, den ihre früheren Besitzer für sie bauten, als sie die dreijährige Vollwaise bei sich aufnahmen. Es war das Pferd deiner Träume — dein Traumboot. Schlank gewachsen, lebensfreudig, kein Kratzer, keine Narbe am glänzenden Fuchsfell, und du hast die spindeldürren Beine und delikaten Füße durch den bisherigen überbeschützten Lebensstil erklärt — für eine so athletische Amazone sicher ohne zukünftige Konsequenzen.
Kurze Zeit später war sie schon eingeritten und
trug dich in abenteuerlichem Eifer sanft vorwärts. Nach sechs
Wochen schon konnte man euch auf euren täglichen Ausflügen
antreffen. Erste Warnzeichen machten sich nach einem weiteren
Monat bemerkbar. Das Traumfell glänzte weniger, die Gänge waren
weniger schwungvoll, ihre Art öfters launisch und empfindlich.
Weihnachten kam, damit auch Pause und Weidegang. Im Frühling
begannst du von neuem. Alles ging gut bis zum Juni. Als du eben
daran dachtest, erstmals an einem CTR zu starten, zeigt sie beim
Traben ein kleines Nicken, zuerst gering-gradig nur, deutlicher
nach einer Woche. Also Pause von einer Woche — alles war wieder
normal, der Tierarzt konnte nichts finden. Beim Entfernen der
Eisen kamen Steingallen zum Vorschein, Blutflecken in beiden
vorderen Sohlen. War das die Ursache? „Nicht was Sie hier sehen",
erklärte der Hufschmied. „Dieses Blut kam schon vor einigen Wochen
in das Horn des Hufes, es benötigt einige Zeit, um
hinunterzuwachsen — aber vielleicht bilden sich gerade jetzt
einige neue." Die Hufzange ertrug sie ohne zu zucken. Drei Wochen
später fandest zu zufälligerweise einige Überbeine, nur zwei oder
drei, an der Innenseite beider Vorderröhren. Ein kleiner Druck
ließ sie zusammenzucken. Nach einer Minute Druck nickte sie im
Trab wie vor einem Monat. Im September waren die Überbeine
schmerzlos. Im Oktober begannst du erneut, zuerst nur sehr leicht
dosiert, und wenig später hattest du dein Vertrauen wieder
zurückgewonnen. Du begannst mit Ausflügen in die nähere Umgebung,
sie trug zusätzliche Futtersäcke, den Hund auf deinem Schoß und
andere unvertraute Lasten herum. Die Chance, auf eine Elchjagd zu
gehen, wolltest du nicht missen, deshalb hast du sie zusammen mit
Dottie, dem Pferd von Tom und Joe verladen und sie 600 km weit
transportiert. Bei der Ankunft war sie etwas verschwitzt und
niedergeschlagen. Sie verließ den Hänger zwar gesund, aber
abweisend. Dann wollte sie nicht fressen und ließ sich nicht an
den Hänger binden. Du dachtest, es wäre wohl besser gewesen, sie
nicht so weit zu transportieren, aber du wolltest die Woche
durchstehen. Am Freitag hatte sie Fieber und keinen Appetit.
Könnte es Grippe sein? Sie hatte alle Impfungen erhalten. Joe gab
dir etwas Penicillin, das senkte das Fieber. Als du am
Sonntagabend wieder zu Hause warst, tropfte eine graugrüne Masse
aus den Nüstern, und sie hustete leicht, wenn sie den Kopf senkte,
um Heu zu knabbern. Am Montag fand der Veterinär eine Bronchitits
mit Lungenfellreizung. Er runzelte die Stirne nach der Art „das
könnte ernsthaft sein" und verabreichte stärkere Antibiotika. Am
Samstag fühlte sich dein Traumboot besser, aber der Tierarzt gab
den Rat, sie den Winter durch pausieren zu lassen, damit alles
vollständig ausheilen könne.
Im nächsten Jahr waren die Fesselgelenke nach dem ersten
erfolgreichen Ausflug in die Berge schmerzhaft. Mit sieben Jahren
endlich brachtest du sie durch eine ganze Rittsaison. Du bist sehr
sorgfältig gestartet, hast sukzessive aufgebaut, dann hast du ein
halbes Dutzend CTR geritten, legtest eine Pause von einem Monat
ein, und schließlich hast du noch drei 80-km-und einen 120-km-Ritt
erfolgreich zurückgelegt. Mit acht Jahren gingen deine Träume
schließlich in Erfüllung. Dreamboat machte zehn Ritte, die letzten
fünf in Top-Ten-Klassierung. Vier oder fünf Tage nach dem ersten
harten 80-km-Rennen zeigte sich die bekannte Unregelmäßigkeit von
neuem und weitere Zurückhaltung war angezeigt, aber nach einem
Monat Ruhe habt ihr die noch verbliebene Saison problemlos
überstanden. Schon während dem letzten, besonders aber in diesem
Jahr, waren dein Traumpferd und du selbst Spitze. Ihre Beine und
Füße sind jetzt in gutem Verhältnis zum Körperbau, ihre Überbeine
sind flach geworden, ihre Hufe sind dick und hart, und die letzten
Spuren von Steingalle sind vor zwei Jahren verschwunden. Aber es
hat lange Zeit gedauert. Ihr beide habt mehrmals schon versucht,
einen schnelleren Gang einzulegen, immer wieder stoppten widrige
Umstände eure Schau. Hast du dich dumm angestellt? Vielleicht ein
bißchen, ein- oder zweimal, nicht mehr als viele von uns, die ein
Gleiches erleben. Warst du unwissend? Dito. Pferde zeigten diese
Art „ihre Rolle zu lernen" —drei Schritte vorwärts, zwei Schritte
zurück— seit lausenden von Jahren. Aber gewiefte Pferdekenner, die
schon mehrere Pferde aufbauten, haben weniger Probleme. Dafür gibt
es Gründe, und vielleicht gibt es einen geraderen und sanfteren
Weg, wenn wir einige Grundelemente im Auge behalten. Um einen
Athleten aufzubauen, braucht es „Anpassung". Effektiv braucht das
Leben schon Anpassung, aber der Athlet braucht mehr davon. Oder
anders ausgedrückt: Anpassung ist Leben, lebende Organe können
sich anpassen, tote tun dies nicht, und leblose Körper sind
unfähig, sich anzupassen. Der Lebende muß sich anpassen — oder er
stirbt.
Adaptation ist der Prozeß der Anpassung des Körpers gegenüber einer „Herausforderung". Herausforderungen finden sich überall — nicht nur in unserer Art zu reiten, Herausforderungen sind z. B. Wetter, Infektionen, Verletzungen, Transporte, soziale Konflikte, Neuerungen irgendwelcher Herkunft. Adaptation bedeutet Mobilisierung körpereigener Mittel, damit der Organismus sich anpaßt und stärker wird. Der Aufbau des Muskelapparates, die verbesserte Immunologie, das Festerwerden der Hufe, die Erneuerung der Knochensubstanz, die Verbesserung der Nervenleitung und andere mehr sind nur einige der vielen wundervollen Dinge, die der Körper als Antwort auf eine Herausforderung verändern kann.
„Herausforderung und Anpassung sind unabhängig voneinander und variabel". Eine gleiche Herausforderung kann verschiedene Pferde verschiedenartig beeinflussen — sie vermag das gleiche Pferd zu verschiedenen Zeiten verschiedenartig zu verändern. „Herausforderungen" sind verschieden in „Typus, Art und Weise, Häufigkeit, Dauer und Zahl". Es braucht wenig Einbildungskraft, um zu sehen, wie Anzahl, Verschiedenartigkeit und Zeit sich vereinen können, um gemeinsam eine Beeinflußung zu verstärken. Mit etwas Überlegung und Beobachtungsgabe lernst du eine Belastung (Streß) ziemlich genau abzuschätzen und entsprechend zu kontrollieren. Anpassung hängt von den verschiedensten Ursachen ab, von der genetischen Konstitution, Ernährung, Immunisierung und Pflege — aber mehr als das — das Maß der Anpassung ist direkt abhängig von der Erfahrung, d. h. früher gemachten Erkenntnissen bei ähnlichen Herausforderungen: Der „Körper lernt, Herausforderungen zu erkennen", die Anpassung zu beschleunigen und auch zu verbessern.
Der Zuwachs an Anpassung ist jeweils klein. Kein Körpersystem ist befähigt, größere Sofort-Umstellungen vorzunehmen. Mit kleinen Umstellungen wird der Prozeß der Anpassung aufgebaut. Je mehr Adaptation aufgebaut werden muß, umso mehr Schritte sind bis zum Erreichen der Spitze notwendig. Die Summe der Herausforderungen (mit gleichzeitig steigenden Anforderungen) — und nicht die Zeitdauer einer Herausforderung — ist der Schlüssel zur Anpassung. Eine lange Arbeitsperiode kann nie eine Serie kurz dauernder, abgestufter Arbeitsphasen ersetzen. Eine einzelne große Anstrengung enthält aber das Risiko einer Überbelastung des Organismus. Überbelastungen führen zu möglichen Schädigungen, welche wiederum längere Erholungszeiten benötigen, um Verletzungen auszuheilen. Die benötigte Zeit bis zur Antwort auf eine Herausforderung hängt vom Grad der Herausforderung ab:
Wir haben also vier Eckpfeiler, auf denen wir
aufbauen können:
I — Athleten werden
aufgebaut als die Antwort auf Anforderungen
II — Die Herausforderungen
müssen verstanden sein
III — Nicht alle Pferde reagieren
gleich — jedes Pferd hat seinen Schwachpunkt
IV — Man muß akzeptieren, daß man einen Aufbau nur in kleinen
Schritten vorantreiben kann.
Was geschieht zwischen Pferd und Umwelt? Wie beeinflußt eine Herausforderung den Körper? Wie können verschiedene Anforderungen ähnliche Resultate auslösen? Warum passen sich verschiedene Gewebe erst nach verschiedenen Zeiten an?
Ohne uns mit dem bekannten Spruch des müden Wissenschaftlers „Wir wissen es eigentlich nicht" begnügen zu müssen, dürfen wir uns auf recht zuverlässige Kriterien berufen, die ihrerseits durch verschiedene wissenschaftliche Studien und viele Beobachtungen belegt sind. Die Zell-Atmung nimmt eine Schlüsselfunktion ein. Besteht die Herausforderung aus Kälte, großer Höhe oder Arbeit, proudziert die Zelle Energie, die Mitochondrien nehmen zu in Zahl und Gewicht, die Zelle kann besser „atmen". Kann die Zelle den Sauerstoff besser verarbeiten, kann sie auch besser funktionieren. Das dies für die Muskulatur zutrifft, ist offensichtlich, das gleiche scheint aber auch für die Knochen, die Schweißdrüsen, das Hirn, für alle Organe zuzutreffen.
Wenn die Zellatmung im Zentrum der Anpassung steht (Trainingseffekt speziell beim Athleten), dann sind die Gewebe, welche am meisten Zellen und die beste Zirkulation aufweisen, am ehesten anpassungsfähig. Muskulatur, Blut, Hirn und Leber sind außerordentlich zellreich. Lunge, Blutgefäße und Haut sind mäßig zellreich. Knochen, Sehnen, Faszien und Bänder sind zellarm, sie verlieren Zellen während des Altersprozesses und sind deshalb nur langsam und am geringsten anpassungsfähig.
Die Art der Herausforderung bestimmt, welche Gewebe oder Systeme herausgefordert sind, die Gewebeart bestimmt das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Anpassung. Auf diesen beiden Säulen kannst du ein rationales Konditions-Programm planen und dein Pferd so aufbauen, „soweit du es als nötig erachtest, so rasch wie er/sie befähigt ist", dazu mit einem Minimum an Rückschlägen und Wiederholungen.
Wo und wann lief etwas falsch mit unserem
Traumpferd? Möglicherweise überhaupt nichts, vielleicht war es,
bedingt durch ihr Alter von nur fünf Jahren, der schnellste Weg
für ihren Aufbau. Laßt uns ein bißchen genauer hinsehen. Mit drei
Jahren war sie, was die Herausforderungen betrifft,
entwicklungsmäßig zurück — dies trotz der überlieferten
Beurteilungskriterien wie Aussehen und Abstammung. Sie war:
überfüttert, ungenügend bewegt, nicht sozialisiert,
undiszipliniert, von anderen Pferden isoliert, unerfahren in den
gewöhnlichen Umgangsformen, schon über das Alter der größten
Zellzahl in Knochen und Stützgeweben hinweg und unterentwickelt
für ihre vorgesehene Karriere. Als du sie eingeritten hattest,
warst du schon bald fünf bis sechs Tage pro Woche unterwegs.
Wiederholte zu große Belastungen wegen ungenügender Anpassung
verursachten ihr überall Schmerzen. Als du sie im Frühling erneut
aufbauen wolltest, waren die Belastungen zu groß für ihre damalige
Anpassungsfähigkeit. Die Überbeine waren die Folge des
Krisenmanagements der starken Inanspruchnahme der Knochen. Als du
mit ihr auf die Elchjagd gingst, waren Transport, fremde
Pferdekollegen und der Wechsel der täglichen Routine zuviel für
ihr Immunsystem, sodaß normale unschuldige Bakterien sich zu
gefräßigen Eindringlingen entwickeln konnten. Jeder dieser
Stressoren alleine wäre für dieses naive jugendliche Pferd eine
Bedrohung gewesen. Zusammen waren sie einfach zuviel für sie. Dann
konntest du nicht widerstehen, in flottem Trab aus den Bergen
zurückzureiten, sogar an der Spitze deiner Kameraden. Sie schien
ok, als ihr zu Hause angekommen seid, aber am nächsten Tag
beklagten sich alle Fesselgelenke bitterlich. Nach jeder dieser
Episoden machte das Traumpferd seine Anpassungserscheinungen durch
und wurde langsam stärker. Daher wurde Herz, Lungen und Muskeln
bis zum letzten Jahr überhaupt nicht gefordert, aber sie schienen
sich jedesmal zu verbessern. Dies, weil die zellreichen Organe und
Gewebe sich viel eher entwickeln als die langsam reagierenden
Knochen, Gelenke und Hufe. Fünf Jahre waren schließlich nicht
unvernünftig, um die unterentwickelten Gänge, die Beine voll zu
belasten; der Motor war bereit, die Räder anzutreiben.
Betrachten wir jetzt diesen drei Jahre alten
Mustang gegenüber im Tale. Er schaut stark und gut entwickelt aus
— er bleibt gut ernährt in frischer Luft und besitzt Füße und
Beine aus Eisen. Willst du die gleichen Fehler wieder tun? Wie
sind seine Voraussetzungen? Welches ist sein schwächster Punkt?
Schön, er ist nicht so leichtfüßig, hat keinen niedrigen Ruhepuls
und ist viel massiver gebaut. Hier brauchst du eine andere
Strategie. Er benötigt viele, sehr viele langsame Kilometer, zu
Beginn mit einer Pulsfrequenz von 120 — 140. Er kann das nächste
Jahr an einigen CTR starten mit einem beschränkten
Kilometer-Programm gegen Ende der Saison. Bevor er zur Spitze der
Distanzpferde aufsteigen kann, benötigt er viele
Intervalltrainings mittlerer Geschwindigkeit und mehreren 30—50 km
lange Trainingsritte mit einer Geschwindigkeit von 14 — 18
km/Stunde. Durch dieses Programm wird die Kapillarisierung der
Muskulatur gefördert, die Laktattoleranz erhöht und der Aufbau von
Kraft und Beschleunigungsfasern, von denen er ohnehin schon
genügend hat, minimalisiert. Erst nach drei Jahren kannst du
versuchen, mit der Spitze mitzuhalten, und auch dann — wegen
seines Körperbaues und seiner Muskulatur, solltest du die
härteren, bergigen Ritte wählen, wo er seine Kraft und Härte
zeigen kann. Heißes Wetter wird ihm immer mehr zu schaffen machen
als unserem Old Dreamboat. Sind aber einmal beide voll trainiert,
wirst du jederzeit ein Pferd zur Verfügung haben — zu jeder
Jahreszeit und bei allen Bedingungen.
notwendige Anz. Tage zur Anpassung an kl. Fortschr. | Anz. Jahre bis zur vollständigen Anpassung | Alter nach dem die Anpassungsfähigkeit abnimmt | Bodenbeschaffenheit, um die grö6te Wirkung zu erzielen | Geeigneste Art des Trainings | |
Huf *) |
7— 14 | 2—4 | 15 |
fest bis hart | Trab: lange, langsame Distanzen (LLD) |
Knochen | 7—10 | 2 + | 3—4 | hart | Trab, LLD. Lope/Canter |
Muskeln | 2—3 | 0,5 |
15 |
weich bis hart Hügel | Trab — Gallop, Intervalle |
Lungen | 3—7 | 1—3 | 10—15 | tief bis nachgeben,. Hügel | Lope — Gallop Intervalle |
Herz |
3—7 | 0,5-1 | 10—15 | tief bis fledernd, Hügel | Lope — Gallop Intervalle |
Gefäße, Kapillaren | 5-10 | 1—2 | 10—15 | tief bis nachgebend | Lope — Gallop Intervalle |
Schwitzen Wärmeabgabe | 7—14 | 0,5 ± | 15 ± | hohe Luftfeuchtigkeit | Trab, Lope Intervalle |
Sehnenbänder | unbekannt 7 oder mehr | 2 + | 3—4 | federnd bis hart, hügelig | Trab. Lope/Canter, LLD |
*) Der Huf ist träge und paßt sich erst mit
dem Heranwachsen an, was 9-12 Monate dauern kann