Meine Ligeira

Erinnerungen an das beste Pferd der Welt...

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Ligeira 1993

Mein liebstes und bestes Pferd - ihr verdanke ich meine schönsten Erlebnisse im Sattel, die ich bis zu meinem Lebensende nicht vergessen möchte...

Vertrauen und Mut

Ich wusste nie genau wie alt sie war. Es war die Zeit vor den Equidenpässen, wo Pferde bei Verkäufern selten älter als 7 Jahre waren. Diese 7 Jahre war sie angeblich alt, vermutlich eher 6-8 Jahre mehr. Sie hatte einen Fohlenbrand des hessischen Ponyzuchtverbands, Papiere gab es trotzdem keine. Ihr junges Reitpferdeleben hatte sie als Lisett auf der Ziegelhütte zugebracht; da wurde sie wohl wegen Unreitbarkeit verkauft. Ich kaufte sie arglos 1992 unter dem Namen Laila, von einem Hobby-Pferdehändler, und benannte sie gleich um, denn ich kannte zwei Fjordaraber-Distanzstuten die Leila und Laila hießen. Sie war schlecht gepflegt, hatte Narben von schlechter Behandlung und Bissen. Der einzige Weg, ihre unleidliche Heftigkeit zu mildern, war, sie weiterhin viel und lange zu reiten. Und nur dann, wenn sie ausgeglichen und entspannt war, auf den Reitplatz zu gehen, damit sie dort noch etwas anderes lernte, als weiter gegen ihren Reiter zu kämpfen. Denn darin konnte ihr bereits niemand mehr etwas beibringen! Den Umgang mit edlen Pferden hatte ich in den Jahren zuvor in einem Arabergestüt nahe Tübingen gelernt. 3-4 mal wöchentlich waren wir in der Umgebung unterwegs, fast nie unter 2 Stunden. Ich hatte sie in einem Offenstall stehen, in einer Kleingruppe mit einer anderen, ihr ähnlichen Stute. Neben dem Reiten war meine ständige Sorge dass sie genügend frass, und das begrenzte unsere Ausflugslust mehr als alles andere. Ich denke heute, sie litt unter chronischen Magengeschwüren, vielleicht wegen vorangegangener starker Medikamenten-/Giftkuren. Ihre Zähne waren immer gut.

In all meiner Freizeit durchstreiften wir den Rammert und die Gegend am Neckar. Sie liebte alles Neue. Wenn man ihr etwas bot, dann war sie lieb, umgänglich und entspannt. Sie war unglaublich feinfühlig und leichtrittig, versuchte jeden Gedanken des Reiters zu lesen. Da ritt ich sie bereits mit Kandare, womit sie um Längen ruhiger ging als auf Trense (später konnte ich sie auf jedem Gebiß, und auch ohne Sattel auf Halfter reiten). Eines Tages gerieten wir nichtsahnend in einen alemannischen Fastnachtszug. Neugierig und interessiert war sie mit mir in den Ort hineingeritten, ich glaube Bieringen. Ungewohnt viele abgestellte PKW an der Landstraße verrieten schon dass hier heute etwas besonderes los war. Und plötzlich standen wir inmitten wild kostümierter, herumspringender und kreischender Hexen, dazu spielte die Musikkapelle! Ligeira riss die Augen auf, und ihre Nüstern weiteten sich auf Tassengröße, aber anstatt sich im Galopp aus dem Staub zu machen wie wohl 95% der Pferde reagiert hätten, die hochblütigen sowieso, blieb sie eisern stehen, weil ich im Sattel nichts machte und die Zügel locker hielt. Sie merkte dann schnell, dass die Hexen nur einen Jux machten, es nicht auf sie abgesehen hatte, und die Hexen merkten dass dieses Pferd furchtlos war, und so tanzten sie rund um uns herum. Nie zuvor hatte ich solchen Mut bei einem Pferd erlebt, und ich glaube, ich werde ihn auch nicht mehr erleben.

Kurze Zeit später waren wir in den engen, verschachtelten Neckar-Seitentälern des Rammerts unterwegs, und unser Heimweg zum Stall führte über eine ganz schmale gesetzte Bruchsteinbrücke, bemost und brüchig, die über einen tiefen schluchtartigen Graben gespannt war. Sicher einst angelegt von den Bauern der Umgebung zum Abtransport von Brennholz aus dem Wald, aber zu schmal für Fahrzeuge, und ein Geländer fehlte selbstredend ebenfalls. Wie wir uns der Brücke näherten, rutschte mein Herz fast in die Hose, und ich war mir nicht sicher ob die Brücke uns tragen würde. Aber Ligeira ging raschen Schrittes, ohne jedes Zögern und in ihrer typischen Art mit gespitzten Ohren forsch drauf zu. Sicher entging ihr mein Zögern nicht, aber zurückhalten wollte ich sie nicht, um nicht als Feigling dazustehen, und wegen des sonst fälligen langen, nicht absehbaren Umwegs. Ich spürte einfach, dass dieses Mal ich ihr vertrauen müsse. Es war nur Zeit für einen Gedanken: "Also gut, wenn Du meinst, Du kommst hinüber! Und wenn es schief geht, dann sterben wir wenigstens zusammen!". Mit vorsichtigem, aber entschlossenem Schritt betrat sie die Brücke - und die hielt. (Anm: Das war am 19.Feb.1993 auf der "Römerbrücke" über die Wolfsschlucht bei Schwalldorf; Link zum Bild der Brücke von 2008, nun mit Geländer; ich würde mit wachem Verstand niemandem raten das nachzumachen und weiß auch nicht ob die Brücke heute noch halten würde)

Wir hatten noch ein paar solcher Erlebnisse. Ein paar Jahre später waren wir an den Steilhängen des Rhein unterwegs, wo heute der Rheinwein-Pfad ausgeschildert ist. Ich kenne heute niemand mehr, mit dem ich dort reiten würde. In St. Goarshausen muss man, um weiterzukommen nach Wellmich, am Friedhof einem Pfad folgen der zunächst über eine sechsstufige Treppe sich zwischen ehemaligen Weinbergen im Zickzack den Hang herauf schlängelt. Steht man unten vor dem Steilhang, hat man echte Zweifel ob hier ein Pferd hinaufkommt. Dieser Pfad bietet nirgends viel Platz bietet um im Fall von Hindernissen umkehren zu können. Ligeira sah die Treppe, und hielt ohne Zögern drauf zu, Ohren gespitzt. Mit einem einzigen kraftvollen Satz war sie oben, und machte sich daran den schmalen Pfad im Galopp zu erklimmen. Am Friedhof standen Leute, sie riefen mir irgendetwas zu, sicherlich dass es unmöglich sei dort per Pferd hochzukommen. Ich konnte nicht darauf achten, nur mich in der Mähne festhalten, auf ihren Hals ducken, um mit dem Kopf nicht im Dorngestrüpp hängenzubleiben, und versuchen sie mit Worten zu gesittetem Tempo zu bewegen, ihr nicht im Maul wehzutun, sie nicht aus der, an dieser Stelle lebenswichtigen, Balance zu bringen. Und zack, warf sie sich schon um die erste Serpentine herum, und weiter marsch marsch. Schnell erreichten wir die Höhe und einen Aussichtspunkt, dessen ebene Fläche ein Luftholen und Blick ins Tal erlaubten. Ligeira war wieder völlig entspannt, schien wie ich den Ausblick zu genießen... Ganz klein und tief unter mir sah ich Friedhofbesucher stehen, die ihre Köpfe noch immer unbewegt nach oben wandten. Todsicher erwarteten sie, dass jeden Moment ein Reiter mit Pferd die alten ausgelassenen Weinberge hinabstürzen würde!

Im Thüringischen war ich mit Ligeira und Natascha unterwegs, ein paar Jahre nach der Wiedervereinigung. Wir ritten in der Erntezeit einen hügeligen Feldweg entlang, und uns entgegen kam ein alter, relativ kleiner Mähdrescher, der mit großer Mühe und unglaublichem Getöse die letzte Reihe Korn abmähte, direkt an unserem Weg gelegen. Natascha ging als mein bepacktes Handpferd auf der linken, dem Feld abgewandten Seite, Ligeira ging mit gespitzten Ohren auf den Mähdrescher zu, dessen Trommel über die Unebenheiten des Feldes schwankte und der eine lange Staubwolke hinter sich herzog. Das Getöse wurde immer lauter. So laut wie dieser alte "Fortschritt" sind die modernen Mähdrescher längst nicht mehr. Natascha bekam mehr und mehr mit der Angst zu tun, zog den Strick länger und länger und war letztlich völlig aufgelöst vor Schreck, mein Reitpferd fast aus der Spur ziehend. Ligeira zeigte sich von beidem nicht im geringsten beeindruckt und schien willens, den Kampf mit dem Ungetüm aufnehmen zu wollen, falls das erforderlich wäre. Keinen Millimeter wich sie zu Seite, obwohl da in Mengen Platz war, und kein bisschen verlangsamte sie ihren, wie üblich zackigen Schritt vorwärts, als der Mähdrescher ganz knapp an uns vorbeifuhr. Angewidert schnaubte sie ob des aufgewirbelten Staubes, und ich bin mir nicht sicher ob sie auch die Augen schloss als wir in die Wolke eintauchten. Aber kein bisschen musste ich sie mit den Schenkeln auf Spur halten. Sie wusste: der Mähdrescher fährt auf diesem Feld dort und traut sich nicht rüber, wenn ich hier auf meinem Weg unbeirrt geradeaus gehe. Bangemachen gilt nicht.

Ligeira

Treue

Man tut sich schwer solch vermenschlichende Begriffe aufs Pferd anzuwenden, aber wie soll man eine Geschichte wie diese anders nennen? Tagelang waren wir über die hohe Rhön geritten, wo es keine Pferde gibt. Nur wir zwei... Selbst Getreide für die abendliche Fütterung war nur mühselig zu bekommen. Kühe waren die einzigen größeren Vierbeiner die wir zu Gesicht bekamen, und selbst die waren selten. Nach Überschreiten des ganzen Gebirges von Süd nach Nord, also der längsten Ausdehnung, hatten wir bei ziemlich schlechtem Wetter, nach Überschreiten der Werra nördlich von Salzungen eine kleine Waldwiese zum Übernachten gefunden, dort eher notdürftig biwakiert und waren am nächsten Morgen, nun bei schönster Sonne weitergeritten. Und keine halbe Stunde von unserem Übernachtungsplatz war ein großer Pferdehof - wenn ich das am Abend vorher gewusst hätte dann hätten sich diese paar KM sicher gelohnt! Pferde kamen wiehernd im Galopp an die Zäune gesprungen als sie den ungewohnten Besuch sich nähern sahen. Ich selbst freute mich auch wieder Pferde zu sehen. "Ligeira, schau mal!" Und sie? Sie ging in stolzer Haltung vorbei, machte keine Anstalten die fremden Pferde wenigstens begrüßen zu wollen, würdigte sie keines Blickes... "Ich bin unterwegs, hab keine Zeit für Euch!" drückte ihre ganze Haltung aus...

Egal wo man mit ihr hinritt oder -fuhr, wo man sie am langen Seil anband, immer war sie zufrieden, schaute entspannt in die Gegend, zupfte ihr Gras. Mit dem wenigsten war sie zufrieden. Nie ging sie hinaus auf einen Acker, knabberte an Bäumen oder betrieb gar hufescharrend "unchristlichen Ackerbau"... immer blieb sie interessiert in der Nähe ihrer Menschen, stellte sich nie abseits weg, immer war sie nah am Lagerfeuer zu finden, aber ohne zu betteln. Auf Wanderritten konnte ich es einige Male wagen - trotz Erlebnissen wie ich sie noch schildern werde - sie zur Nacht nicht mal anzubinden. Und manchmal legte sie sich wie ein treuer Hund zu meinen Füßen hin. Wenn sie so einigermaßen das hatte, was sie brauchte, und man bei ihr war, dann war sie völlig zufrieden. Und wenn es am Ende der Welt gewesen wäre...

Grastäler
Foto Bert Fichtel, Grastäler 1997 - eins der wenigen Bilder von einem Distanzritt, das ich von uns beiden besitze

Hallo, aufwachen, Schlafmütze..!

Achtzig Kilometer, Distanzritt auf der Alb. Die besten Kartenreiter Deutschlands treffen sich. Angesagt ist Start um sechs, aber wie üblich geht die vorabendliche Feier am Lagerfeuer bis weit nach Mitternacht. Trotzdem schaffe ich, weil man vor so einem Rennen ja auch Lampenfieber hat, nicht zu verschlafen und um halb sechs aufzustehen. Ich hol das Pferd vom Paddock, geb ihr etwas Hafer und binde sie kurz am Hänger an. Aber ob es wirklich um sechs losgeht?? - Noch niemand scheint irgendwelche Startvorbereitungen zu treffen, überall ist es noch dunkel. Sicherlich war die forsche Ansage verfrüht. Übermüdet und verkatert lege ich mich nochmal aufs Ohr, im Hänger steht mein Feldbett... und plötzlich merkte ich, wie mein Pferd am Hänger randaliert, am Strick zerrt, ganz gegen ihre Art. Der ganze Hänger wackelt und rumpelt. Ich springe hoch, felsenfest davon überzeugt, dass sie sich verheddert haben muss und in Panik geraten ist. Doch nichts dergleichen: Ligeira hat entdeckt, dass in der entferntesten Ecke der Paddockwiese, im Stockdunkel kaum sichtbar, sich die ersten Reiter zu sammeln beginnen. Zehn vor Sechs! Nun komme auch ich "in die Gänge", öffne rasch das Auto, greife zu Decke und vorbereitetem Sattel, das kann im "Ernstfall" auch mal Ruckzuck gehen... und das herumzappelnde Pferd? Steht wieder völlig ruhig und wartet aufs Gesattelt-werden!

Auf Distanzritten

Auf Distanzritten hatte sie eine unheimlich coole, überlegene Art an sich. Allein auf der Strecke, war jedes Pullen verschwunden. Mit anderen Pferden ging sie gern zusammen, und nahm auf ihre liebe, soziale Art gern Rücksicht auf Schwächere, langsamere. Aber mit anderen guten, ehrgeizigen Pferden zusammen hatte sie einen immensen Spaß am Wettkampf. Unvergessen für mich, ihre Versuche den fast 20cm größeren Halbblüter und mehrfachen Deutschen Meister Cloud Question Mark im Wett-Traben zu schlagen. Ich konnte im Sattel sitzend ihre Vorderhufe bis nach ganz vorne fliegen sehen. Sie war leicht größenwahnsinnig, und kannte überhaupt kein Maß.. insbesondere in der ersten Streckenhälfte war es deshalb immer ratsam sie allein zu reiten.

Und allein war es mit ihr immer ein schönes Reiten. Dutzende Kilomenter konnte sie mit viel Ehrgeiz allein gehen. Auf langen gerade Strecken mit guter Voraussicht peilte sie mit Adleraugen, ob der Vorsprung der Konkurrenz größer oder kleiner wurde. Auch zuhause war sie immer interessiert, wer sonst so unterwegs war. Sonntags auf den Anspacher Feldern zum Beispiel. Im Unterschied zu den Distanzritten hatte man diese "Konkurrenz" aber viel zu leicht erreicht und überholt. Was hinter ihr weiter geschah, interessierte sie dagegen nicht. Sobald ein Konkurrent überholt war, orientierte sie sich wieder nach vorne und war nicht geneigt irgendjemand "mitzuziehen", oder schon gar nicht, an diesem zu kleben. An den Stops beobachtete sie genau, wer vor ihr wieder rausging, ohne zu drängeln. Sie beobachtete die Konkurrenz mit gespitzten Ohren, und fraß dabei, scheinbar völlig unbeteiligt Gras. Hengste strafte sie dabei mit ein oder zwei Ausnahmen mit Verachtung, besonders die Brüllaffen unter ihnen. Man konnte sie unangebunden mit übergelegten Zügeln fressen lassen, und sich ein Brötchen oder Kaffee holen. Ich musste das einige Male tun, weil ich fast immer ohne Tross ritt, und Pferdegedrängel lieber vermied. Nie wäre sie weg- oder zu anderen Pferden hingelaufen. Auf einer Vogelsbergdepesche ritten wir einmal fast 80km in schrecklicher Hitze einer Spitzengruppe hinterher, und erreichten sie erst wenige Kilometer vor dem Ziel, nachdem diese sich verritten hatten. Von diesen 5 Pferden war sie das bei weitem fitteste, und lauerte bis zur Zielgeraden noch auf ein Zeichen von mir, sich nun endlich in Galopp- und abzusetzen zu dürfen. Mir genügte das Wissen, dass sie es mit Leichtigkeit gekonnt hätte... und am schönsten war das Gefühl, dass es schade war, dass der Ritt am späten Nachmittag zuende war, dass sie noch für viele KM Kraft gehabt hätte an jenem Tag. Wie schön wäre es gewesen, in der Abendkühle weiterzureiten. An jenem, unserem besten Tag, bin ich bis heute überzeugt, hätte sie 100 Meilen gehen können, doch war der Ritt nach 110KM schon zuende.

Ich habe noch nie so einen Athleten erlebt wie sie, und werde vielleicht auch keinen mehr erleben. Als höchsten Pulsschlag habe ich 235 bei ihr gemessen, und schätzte ihr Pulsmaximum bei rd. 240, habe mich aber nie getraut es wirklich herauszureiten, bzw. alle unsere Berge waren dazu nicht lang genug. Der "Papst" der Galopptrainer Tom Ivers, nun auch schon seit vielen Jahren tot, der damals in der Distanzreiter-Newsgroup Ridecamp mitschrieb, um sich etwas KnowHow auf diesem Gebiet anzueignen, später in dieser Disziplin bei den Scheichs etwas Geld verdiente, wollte es zuerst nicht glauben dass kleinere Araber und Partbreds (Ligeira war nicht die einzige) diese Pulswerte erreichen können, weil Rennbahn-Vollblüter höchstens 210-220 Pulsmaximum haben. Und auch nur die sehr guten unter ihnen. Sie hatte ein großes Herz - im übertragenen Sinn wie im physiologischen. Selbst ein halbtauber Pulsmess-Anfänger hätte ihren Herzschlag bestens hören können. Mit Pulswerten um 200 herum konnte sie minutenlang laufen ohne Probleme mit Laktat zu bekommen. Bei diesem Tempo, nur auf allerbestem Geläuf empfehlenswert, treten einem in der Ebene die Tränen in die Augen. 150-160 war für sie keine ernstzunehmende Anstrengung sondern lediglich Joggingtempo, wenn man damit übertrieb konnte sie je nach Tagesform und Laune furchtbar genervt reagieren. Ihr höllenlautes, gepresstes Schnauben, wenn immer ihr etwas nicht passte, oder man sie in Zorn gebracht hatte (meist durch zu starkes Zurückhalten), habe ich noch genau im Ohr! Unseren schnellsten 80er lief sie mit 17,4 km/h Schnitt, und mit einem leichterem Reiter wäre mehr möglich gewesen.

Vermutlich durch ihre Schlank- und verhältnismässige Kleinheit bedingt, hatte sie nie Probleme Wärme abzuführen, auch wenn Tempo und Umgebungstemperatur noch so heiss waren. Sie schwitzte nicht wenig, und trank häufig erst nach 40 oder noch mehr Kilometern zum ersten Mal Wasser, also wenn sie wirklich Durst hatte. Dadurch wirkte sie schnell dehydriert, ohne es aber wirklich zu sein. Was es weiter schwierig machte sie gut über einen Ritt zu bringen: sie hasste es vorzutraben, machte sich dabei nie mehr Arbeit als unbedingt nötig, und hatte, wohl durch die schleichende Arthrose bedingt, eine Abneigung gegen die damit zusammenhängenden plötzlichen Starts und engen Wendungen. Sie war auch nicht der Typ, der bei Nachuntersuchung Hälschen und Hühühü machte. Deswegen war sie kein Best-Condition-Pferd. Aber sie fand auch so die Bewunderung Fachkundiger, wie des damaligen Tierarztes der deutschen Distanzreiter-Equipe. Zur Voruntersuchung in Birstein, direkt nach der glutheißen Hängerfahrt (soll man eigentlich nicht machen) führte ich sie 1km in ein kleines Tälchen. Ligeira stand da, ganz ruhig, Puls 32, Atmung 8, man sah die ganze Unterhaut mit feinen Aderchen durchzogen. Ihr "Basis-Kühlsystem". Der Tierarzt: "Hat sie das immer?". Den Ritt begannen wir ganz gut, dann verlor ich ein Eisen, und fiel bis zur Halbzeitrast, wohin ich Werkzeug bestellte, um es wieder aufzuschlagen, auf den letzten Platz zurück. Auf dem Rückweg überholten wir dann fünf Reiter und wurden noch Dritte.

Distanzritte gingen wir in den Jahren 1993-1999. Zeichen für mich um damit aufzuhören war nachlassende Regeneration im Ziel (was vermutlich mit dem Alter zu tun hatte). Aber ihr Geist, ihre Haltung blieben immer großartig. 2002 (da war sie vermutlich 25) begann dann das Karpalgelenk des immer als schwächer bekannten 
Beins bei stärkeren Knickungen (Arbeit am Huf) zu schmerzen, wurde allmählich dicker. Ich hatte schon Jahre zuvor mit Glucosamin/GSM und Adequan behandelt was auch gut angeschlagen hatten. Bis 2003 nahmen wir sie immer noch auf Ritte mit, die dann natürlich langsamer und weniger lang waren. In über 10 aktiven Jahren lahmte sie insgesamt vielleicht 3 Wochen, davon allein 2 Wochen wegen Zerrung einer Hinterhandsehne auf der gefrorenen Koppel. Sie war eine wirklich harte Nuss. Nun fügten sich für mich einige Puzzleteile zusammen, vor allem war der Grund für ein paar, mich damals sehr frustrierende, Ausfälle bei den noch sehr streng gehandhabten Nachuntersuchungen am Folgetag gefunden (das Prozedere an sich fand ich trotzdem immer richtig). Ohne sie als Begleitung wäre meine Natascha wohl eine faule Schnecke geworden, und nicht das fleissige Reitpferd von heute. Irgendwann wurde die Arthrose akut, sodass sie deutlich zu lahmen begann, und ich gab ihr für ein Jahr Schmerzmittel (sie hat sie gehasst). Nach dieser Zeit lahmte sie nur noch gelegentlich, aber durch die eingetretene Verknöcherung war das Gelenk nicht mehr so beweglich wie früher, und die letzten Jahre legte sie sich nur noch auf einer Seite hin. Ein- zweimal musste ich sie umdrehen, weil sie sich auf der Weide festgelegen hatte. Ich versuchte noch sie decken zu lassen aber es war zu spät.

Im Schnee

Freundschaft

Sie war nicht die typische streichelbedürftige Stute, sondern in dieser Beziehung, solange sie jung und gesund war (im Alter wurde sie ein richtiges Kuschelpony), eher ein bisschen spröde, und auf Unabhängigkeit bedacht. Gerade das mochte ich an ihr. An den Ohren kraulen liess sie sich gern, und hörte mir dabei zu. Und immer sorgte sie sich um die anderen Pferde ihrer Herde, wenn eins wegging, wieder kam, oder wenn eins krank war, hielt sie Wacht. Als Natascha schwere Hufrehe hatte, und kaum stehen konnte, stand sie immer bei ihr. Stand ihr bei. Viele Pferde lassen kranke Herdengenossen im Stich - sie nicht. Sie stand zu ihr, und passte auf sie auf.
Sie war äußerst mutig und selbstbewusst. Ihr Wiehern nach zurückkehrenden Freunden metallisch und durchddringend, in der Art wie man es von Stuten eher selten hört.
In den jetzt bald 20 Jahren in denen ich sie hatte, ist es mehr als einmal passiert, dass ich niemanden mehr sehen wollte und mich traurig zu meinen Pferden auf die Koppel setzte um von allem meine Ruhe zu haben, denn dies ist einfach der entspannendste Platz der Welt für mich. Dann kam sie langsam von hinten an, immer sie, als einzige, stellte sich neben mich und berührte mich leicht mit ihrem samtweichen Maul. Nicht in der Art "Hallo, hast Du ein Stück Brot für mich?" sondern viel sanfter. Es war ihr nicht egal, dass es mir schlecht ging, und sie fragte auch nicht "wie kann ich Dir helfen?". Und sie schien auch nicht zu glauben "ich kann ihm doch eh nicht helfen, weil ich nur ein Pferd bin, also brauch ich gar nicht hinzugehen". Sie kam einfach. Hallo, Du bist mein Freund, und ich sehe dass es Dir nicht gut zu gehen scheint. Ich sorge mich um Dich. Ich stelle mich einfach mal zu Dir hin, damit Du siehst dass ich für Dich da bin. Das war ihre Botschaft, das kam bei mir an. Für mich waren das Momente größten Glücks. Wenige Menschen stehen zu einem auf diese Art...

Orientierungssinn

Bis heute gehen die unglaublichsten Geschichten über den Orientierungssinn von Pferden um, so dass manche Menschen Pferden hierfür einen "7. Sinn" zuschreiben. Damit kann ja verschiedenes gemeint sein, und meist wird der begriff eher unreflektiert verwendet. Ich bin da skeptisch, sowohl was einen 6. (will meinen: unbekannten physiologischen) als auch 7. (wissenschaftlich nicht feststellbaren, esotherischen) Sinn betreffend, denn es ist doch so: Wenn Pferde neu irgendwohin gebracht werden, kennen sie sich anfangs überhaupt nicht aus, auch wenn sie an ihrem alten Ort einen ausgezeichneten Orientierungssinn besessen hatten. Auch Naturvölkern, die man früher "Wilde" nannte, schrieb man solch, quasi wundersamen Orientierungssinn zu, bis man herausfand, dass sie sich Wege einfach nur besonders sorgsam einprägen und ihre Umgebung viel aufmerksamer beobachten als der Durchschnitt unserer unaufmerksamen, karten- und navi-verwöhnten Zeitgenossen. Schließlich können sie sich nicht leisten sich zu verirren wie Idioten. Genauso ist es beim Wildpferd: wer sich verirrt, fällt eine Schlucht hinunter, bleibt im Unterholz oder Sumpf stecken und wird vom Wolf geholt. Orientierung ist beim Menschen eine Sache von Verstand und Gedächtnis, und ebenso scheint es auch beim Pferd zu sein. Und weil die Verstandesleistungen bei beiden, Menschen und Pferden, individuell höchst unterschiedlich ausgeprägt sind, verhält es sich auch mit dem Orientierungssinn so. Es ist nichtsdestotrotz erstaunlich und deswegen für einige, vielleicht zu sehr von ihrer Einzigartigkeit überzeugte Menschen auch unglaublich, dass der Verstand beim Pferd bei einer so abstrakten Sache so gut funktioniert, wo ihm doch die "Idee" von begrifflicher Sprache und begrifflichem Denken so völlig fremd ist. Begriffliches Denken und Philosophie würde einem Wildpferd freilich wenig nützen, ein ausgeprägtes räumliches Erinnerungsvermögen nützt dagegen sehr viel. Das Pferd denkt in Bildern, so hat es eben auch eine Art räumliche Anordnung lokaler Engramme, die ihm erlauben mit einem gewissen Kombinationsvermögen von bekannten Wegen auf unbekannte zu schliessen. Denn seine Vorfahren waren vielleicht mehr KM im Jahr im unterwegs als mancher über gutbeschilderte Straßen heute Auto fährt!

Auf Distanzritten hatte ich besondere Erlebnisse dieser Art auf zwei Ritten die wir beide ein zweites Mal geritten waren. Beim ersten, es war im nördlichen Vogelsberg, ging Ligeira an der Spitze einer Gruppe. Wir ritten einen ewiglangen geraden Waldweg und ich blickte angestrengt auf die Karte, denn wir nahten uns einer Stelle wo man, ohne dass dies im Gelände besonders deutlich wurde, nach links abbiegen musste. Ich war in Begleitung einiger guter Reiter, vor denen ich mich, auf meinen guten Ruf bedacht, mit meinen Kartenkenntnissen nicht blamieren wollte, war mir aber nicht sicher, wo, bis plötzlich Ligeira eigenständig und ohne auf Hilfen zu warten nach links abbrach, und ich nach wenigen Metern den Weg von vor 2 Jahren wiedererkannte. Bert Fichtel, der hinter mir ritt, erkannte die Situation und fragte sofort : "Hat Dein Pferd das eben selbst gemacht!?" -- Das zweite Mal waren wir allein auf einem der Albritte. Es war neblig und ging im Galopp quer über eine Wiese. Auf der gegenüberliegenden Seite ging, wenn man ihn im genau richtigen Winkel traf, am Waldrand ein schmaler Pfad gerade ab, und hinab in das nächste kleine Quertal. Ich konnte den Anfang des Pfades aber nicht erkennen und befürchtete schon, am Waldrand eine Weile hin- und herreiten zu müssen um den Einstieg zu finden, wodurch wir unseren Vorteil auf die im Nebel nächstfolgenden Reiter natürlich verloren hätten. Doch Ligeira hielt im leichten Galopp fest auf einen imaginären Punkt zu, und sicher wie sie sich dessen zu sein schien, korrigierte ich sie nicht, sondern liess sie gewähren. Mein Erstaunen war nicht schlecht, als wir genau in Verlängerung der über mehrere hundert Meter gerittenen geraden Linie den, unter tiefhängenden Zweigen kaum sichtbaren Einstieg zu unserem Pfad fanden!

Daheim bin ich einmal in der Gegend von Oberlauken auf einem neuen, mir unbekannten Weg geritten, der nicht besonders gut zu reiten war. Ligeira zeigte mir an dass sie "weiter unten" einen besseren Weg kannte und schlug vor auf diesen zuzuhalten, obwohl wir diesen immer aus einer ganz anderen Richtung kommend benutzten. Sie brachte es fertig, von unbekannten auf bekannte Wege zu schliessen, was nicht jeder Mensch beherrscht und schon eine gewisse Intelligenzleistung darstellt. Sie hatte diesen "schönen Weg", den wir höchstens 2-3x im Abstand einiger Jahre geritten, 15 km von zuhause entfernt, im "Kartennetz" ihres Kopfes eingespeichert. Ein anderes Mal, auf einem 400km langen Wanderritt durch die Rhön, kamen wir auf dem Rückweg an eine Kreuzung, wo wir 6 Tage zuvor in die andere Richtung abgebogen waren. Jetzt wollte ich an derselben Stelle in Richtung nach Hause abbiegen. Aber aus der fremden Richtung kommend, erkannte ich die Kreuzung nicht gleich wieder, und versuchte weiterzureiten. Ligeira verhielt sich und guckte zur Seite: "Du wolltest da hinten bestimmt rechts, oder??". Ich hielt an, überzeugte mich auf der Karte - sie hatte zweifelsfrei Recht!

Fast unglaublich ist auch die folgende Geschichte. Ich war mit zwei Freunden, die ruhige, überdies noch junge Westernpferde ritten, auf einem Tagesritt durch die Maibacher Schweiz. Wir ritten
fast nur Schritt, und dies auf unser liebsten Trainings- Trab- und Galoppstrecke. Und Ligeira, die ich als Handpferd dabei hatte, war zunehmend angeödet, zog mir den Arm immer länger. Leider hatte ich sie, wie bei mir beim Handpferdereiten üblich, bloss auf Halfter gezäumt, was sonst immer problemlos ging. Aber heuer musste ich immer häufiger mit ihr schimpfen, und der Ritt gefiel mir immer weniger. An einer Stelle wo wir ein kleines Hinderniss zu springen hatten, lief sie plötzlich voraus, machte sich selbstständig, lief noch eine Weile etwas schräg mit nach hinten gerichtetem Blick, ob vielleicht jemand anderes auch Lust hätte mitzugaloppieren? -- und nahm dann, da wir alle die Pferde verhielten in der Hoffnung sie werde schon stehenbleiben, sichtbar genervt und resigniert, richtig Tempo auf, und machte Anstalten allein nach Hause zu gehen - in einem Tempo das ihr offenbar besser zusagte! Von ihr nun schon einiges gewöhnt, war ich über dies Verhalten doch ziemlich verblüfft. Da von meinen Freunden in dieser Situation nicht viel Hilfe zu erwarten war, verabschiedete ich mich von ihnen eilends, um ihr auf Natascha zügig nachzusetzen - doch umsonst, ich kam mit dem 10cm größeren Pferd nicht einmal mehr in ihre Nähe: Das entfleuchte Pferd ward nicht mehr gesehen. Ich suchte sie nun völlig vergeblich in Verlängerung unserer normalen Reit- und Trainingsstrecke (auf der sie noch immer den Rekord hält, der allerdings nicht auf diesem Ritt entstand) und machte mir insbesondere Sorgen um die Bundesstraßen-Überquerung auf der Hohen Schneid! In Wahrheit ging sie ganz woanders lang, nämlich im nächsten Ort rechtwinklig abbiegend, um den direkten, kürzesten Weg nach Hause auf Straße einzuschlagen -- wo ich selbstredend mit ihr nie geritten bin, sie auch nie transportiert habe. So durchquerte sie reiterlos die Dörfer Michelbach, Eschbach und, als drittes, den größten Teil der ehemaligen Kreisstadt Usingen, war auch bereits am Ortsausgang in Richtung Rod am Berg korrekt abgebogen, ganz so wie man auf kürzestem Weg nach daheim Auto fährt -- bis endlich ein (reitender) Autofahrer aus dem Wagen sprang und sie am herunterbaumelnden Strick aufhielt. Nach seiner Aussage hatte sie sich im Straßenverkehr vorschriftsmässig rechts gehalten - ganz so wie sie das ja vom Gerittenwerden her gewöhnt war - und sei nur zügig und ohne hektische Eile getrabt, inmitten der Autos als ob alles so seine Richtigkeit hätte. Mir bescherte dies Abenteuer ein paar bange Stunden!

Rheingau
        Wanderritt 1992

Unreitbar ?

Später war sie ein mit feinsten Hilfen und sanfter Anlehnung zu reitendes Pferd, aber in ihrer "Sturm- und Drangzeit" war sie sehr schwierig, und ich oft der Verzweiflung nahe. Der erste Schritt zur Besserung war wahrscheinlich das Ablegen des Ehrgeizes dies schwierige Pferd unbedingt mit Trense reiten zu wollen, und sie auf Kandare mit 4 Zügeln (zuerst Linda Tellington Bit, später fand ich besser geeignetere) umzustellen. Sie ging immer entspannt und in bester Vorwärts-Abwärts-Haltung von zuhause los. Eine begeisterte Traberin, die alle paar hundert Trabschritte ganz von allein den Kopf runter nahm um den Rücken zu entspannen. Man musste ihr dann sofort Zügel geben, und ich erahnte wie wichtig für sie diese zeitweilige Vorwärts-/Abwärts-Haltung war. Aber auch, dass sie keineswegs ständig so gehen konnte oder sollte. Sie hatte nie auch nur Ansätze von Satteldruck. Sie war kein Durchgänger, aber ein schrecklicher Puller, und ertrug anfangs keinerlei Schenkelhilfen. Es schien so, als hätte sie den Weg zum Stall zurück immer nur im Galopp zurückgelegt, und machte keinerlei Miene, sich an irgend etwas anderes gewöhnen zu wollen. Bei mir lernte sie, dass man anstrengende Seitengänge wie Schulterherein und Travers gehen musste, wenn man sich weigerte, vernünftigen Schritt zu gehen.

Manchmal wehrte sie sich allerdings gegen diese, von mir gut gemeinten, und wohl auch nötigen Zumutungen, und ich kann mich an viele Bocksprünge und Pesaden erinnern. Die sie, wenn besonders in Zorn geraten, als Kurbette oder Kruppade (mit abgedrückten Hinterbeinen) auch noch steigern konnte. Allen die noch nie auf einem Courbette springenden Pferd saßen, kann ich sagen, wenn sich das Pferd aus der Pessade so vom Boden abdrückt, dass man den Kopf plötzlich in 4m Höhe hat, dann hofft man nur noch heil wieder runterzukommen. Zumal die Pferde, wenn sie ordentlich in Rage sind, sich nicht immer Gedanken machen, wo sie mit ihrem Sprung landen werden. Sie machte ihre Sprünge aber auf eine Art, die sich vom Sattel aus sicher und "professionell" anfühlte, so dass ich nie fürchtete sie könnte die Balance verlieren, wie man das ab und zu als Zuschauer tut, und die Luft anhält, wenn Leute Pferde einfach bloss steigen lassen... Bei der Pesade mit vorschriftsmäßig nebeneinanderstehenden Hinterbeinen - ist das nicht der Fall, häufig bei Pferden zu sehen die man steigen lässt, ohne dass sie vorher in langwieriger Fleißarbeit gebogen und geradegerichtet wurden, kann es zur Seite umkippen, was kaum weniger verletzungsträchtig ist, als das bekannte Nach-hinten-Überschlagen.
Ligeira, die ihre Biegungsgymnastik und Schlangenlinien auf dem damals zum Glück vorhandenen Reitplatz, 2-3x die Woche, aber geradezu liebte (insbesondere ohne Zügelhilfen oder im Spiel "zeig Du mir Deine kleinsten Hilfen, und ich errate sie") sprang - vielleicht zum Glück - nur eine Handvoll Courbetten, und war, wenn sie zufrieden und entspannt lief, niemals zu derartigen Eskapaden willig. Deswegen konnte ich sie nicht weiter ausbilden, und unser Reiten wurde niemals irgendwie spektakulär. Sie sprang ihre Courbetten bloß im Zustand größtem Zorns, unter größter Spannung und durch mich gehemmten Vorwärtsdrang. Und wenn ich bezogen auf das klassische Reiten eine Grundüberzeugung habe - damals schon und heute noch stärker! -  dann die, ein Pferd nie absichtlich in Zorn zu versetzen, oder in Spannung zu reiten, sei es mittels der Zügel oder durch andere Tricks. An der Stelle haben Freizeitreiter und Showreiter unterschiedliche Ziele - man muss einfach wissen was man will, und dann danach handeln. Die Spannung im Pferd muss man immer zu beseitigen trachten.- Man darf, allerdings, die Impulsion nutzen, die das Pferd selbst mitbringt, oder anbietet. Und diese sollte man dann, auch und gerade als Freizeitreiter, nutzen, um das Pferd wirklich zu reiten und nicht bloss zu langweilen! Impulsion und Spannung, das sind sehr unterschiedliche Dinge, auch wenn sie für den  Betrachter oft ähnlich aussehen. In Spannung kann man ein Pferd nicht auf Dauer gesund reiten, und besonders im heutigen Dressursport sehen wir die Pferde in überwiegend extremer, ungesunder Spannung anstatt losgelassener Haltung gehend.

Soviel nur dazu. Nicht nur das Talent zum 100-Meilen Distanzrenner schlummerte in ihr, sondern auch das zum Hohe-Schule-Pferd...


Kurbette
              (Wien)

Das Pferd mal richtig laufen lassen ?

Wenn ich Leute den "klugen Ratschlag" erteilen höre (damals hörte ich ihn oft!), dass man einen Puller doch nur mal "richtig laufen lassen solle damit er schon müde werde" schwillt mir noch heute der Hals bei soviel Unverstand und Fahrlässigkeit. Leute die so etwas äußern - sie mit dem Titel "Reiter" zu bezeichnen fällt mir schwer! - zeigen damit dass sie es weder können noch verdienen ein edles, temperamentvolles Pferd zu reiten. Denn: "Müde" werden vielleicht fette Haflinger oder unterbewegte Stallpferde nach 600m Galopp. Ich habe, ein einziges Mal, Ligeira einmal "laufen gelassen solange sie wollte", auf ausgezeichnetem Geläuf von der Morcher Mühle bis zu Steinfischbacher Höhe, nachdem sie sich auf den Wiesenwegen des Emsbachtal schlecht benommen und ich die Geduld verloren hatte. Sie wurde nicht langsamer, sondern ihre Raserei wurde immer irrer, und der Schaum flog ihr zu beiden Seiten. Nach einigen Kilometern Galopp bergauf durchpariert - von freiwilligem Bremsen keine Spur! - schnaufte sie, die Ausnahmeathletin, wie eine Dampflok, ohne ein einziges trockenes Haar mehr. In ihren Augen sah ich ein irres Glitzern das mir eisige Angst machte, denn ich erkannte in diesem Moment, dass sie nicht mehr bei sich war, so kontrolliert sie auch zuvor gegangen war. Schlimmer noch, dass ich im Begriff war mein geliebtes Pferd totzureiten, es aber von alleine niemals langsamer werden würde! Und ich tat das einzig mögliche: abzusteigen und zu Fuß weiterzugehen. Und sobald sie sich beruhigt hatte, sie für meine Dummheit und Unbeherrschtheit um Verzeihung zu bitten! Noch ein paar KM weiter  fragte ich sie, ob sie mich im Schritt heimbringt, wenn ich jetzt aufsitze und sie nicht stören würde. Und dann machte ich mich im Sattel wie unsichtbar, und sie trug mich im Schritt heim, ein bißchen zügiger vielleicht als von mir gewünscht, aber im Schritt. Vor allem: sie wurde unter dem Sattel wieder richtig happy dass ich sie mal einfach nur in Ruhe liess! Nein, nachtragend war sie nie.
Dieses Pferd hat mich in zehn Jahren mehr gelehrt -
vor allem reiterliche Demut - als wohl manche in einem ganzen Reiterleben lernen.
Viele Bücher über's Reiten habe ich gelesen, Unterricht genommen, Reitkurse gemacht - aber eigentlich alles, was ich reiterlich gelernt habe, kann ich mit Fug und Recht sagen, brachte sie mir bei. Und alle Pferde, die ich nach ihr noch reiten werde, werden hiervon profitieren.
Mit so einem Pferd hat man die Chance gewisse Dinge im Expresstempo zu erkennen und zu lernen, was auch seine Vorteile hat. Meine in den Achtziger Jahren durch die Schriften von J.C. Dysli entstandene, naive Sympathie das Westernreiten betreffend verschwand mit diesem Pferd durch die Begegnung mit der gängigen Westernreitpraxis -- und verwandelte sich in eine tiefe Abneigung. Denn nirgendwo wurde mir so deutlich wie dort gesagt dass dies Pferd - mit den eigentlich für alle erkennbaren besten körperlichen und psychischen Voraussetzungen, ein überschäumender Ausbund von Kraft, Energie und Bereitschaft - zum reiten nicht tauge, weil es sich nicht beherrschen lasse. Weil es angescheinend das Pferd sei, das sich auf den Reiter einstellen müsse. Diese Haltung hat sich bis heute leider noch weiter verbreitet. Leute mit dieser Einstellung frage ich : Wer zum Teufel will hier was von wem, der Reiter vom Pferd oder das Pferd vom Reiter?? - und wer muß sich demzufolge auf den anderen einstellen??

Auf einem Reitkurs

Ich ritt immer ein wenig lateral zu den jeweils gängigen Moden, was auch daran lag, dass ich die meisten Bücher die irgendwelche Methoden begründeten, früher und gründlicher gelesen hatte als die Mehrheit. Hausaufgaben gab mir dieses Pferd ja genug auf... Trotzdem besuchte ich hin und wieder Reitkurse die nicht ganz in meiner Zielrichtung lagen; vielleicht kann man ja trotzdem was lernen. So war ich dann auf diesem "Klassik-Reitkurs", bei dem aber für mein Gefühl die Pferde viel zu sehr geknechtet wurden. Ich aber musste mir die Kritik anhören: "Du willst ja nicht reiten, sondern ein Pferd haben wie ein Auto, das alles selber macht". Mit dieser Kritik war ich, obwohl sie nicht stimmte (s.o.) aber gar nicht so unzufrieden, wie auch mit den Leistungen meines Pferdes auf diesem Kurs. So ganz stimmt der Vergleich ja auch nicht, denn ein Auto macht nicht viel ohne Fahrer.
Irgendwann aber wollte mir die Kursleiterin zeigen, dass mein Pferd doch das konnte, was sie forderte, wenn man sie nur richtig anpackte. Sie setzte sich also selbst drauf. Und dann konnte ich zum ersten Mal vom Boden aus sehen, wie ein Pferd reagiert das gern partnerschaftlich behandelt aber nicht versklavt werden will. Wodurch sich der Reitkurs für mich als sehr lehrreich erwies. Ligeira stellte jede Mitarbeit ein und machte nicht mehr mit, wurde richtig stätisch. Als die Kursleiterin ihr ein paar Gertenhiebe gab um sie in den Senkel zu stellen, steckte sie auch diese unempfindlich ein, sie mit nichts als wütendem Schnauben quittierend (oh, ich kannte es!). Jetzt war der nächste Grad der Eskalation erreicht und sie kurz davor, die Reiterin abzubocken, was ich überhaupt noch nie erlebt hatte. Ich war nun nah dran die Kursleiterin von meinem Pferd herunterzubitten, als sie die Vergeblichkeit ihres Tuns selbst begriff, mir mein Pferd mit den Worten zurückgab, dass sie bei ihr wohl keinen Erfolg haben werde und ich es doch nicht so schlecht mache. Mit mir wieder im Sattel, war sie dann wieder sofort kooperativ und freundlich.
-- Keineswegs lag dies daran dass sie etwa ein "Männerpferd" gewesen wäre -- mache Pferde sind angeblich "Frauenpferde", da muß es wohl auch Männer-Pferde geben? Kein "Ein-Personen-Pferd" jedenfalls, oder ich sie auf eine individuellere Art ritt, als mit den Prinzipien klassischen Reitens vereinbar. Ich war schon damals, und bin heute, nach Studium von Otto v. Montetons Schriften,  noch stärker der Meinung, dass ein gut gerittenes Pferd von jedem echten Reiter, auch von einem Kind geritten werden können muss: So hatte ich keine Bedenken, sie mehrfach an unbefangen-naive Reiterinen zu geben, bei denen ich vor allem ihren lieben und respektvollen Umgang schätzte, und es war mir Belohnung und reine Freude, zuzusehen wie sie unter ihnen ging. Kurzum: Ligeira gab alles für ihre Reiter deren gute Absicht sie erkannte, aber zwingen liess sie sich zu nichts. Zweimal gab ich sie, weil ich als Regionalbeauftragter oder Veranstalter schlecht selbst reiten konnte, auf Distanzritten Reiterinnen, deren Reiten ich aus eigener Anschauung kannte, mit denen ich zuvor viele Kilometer gemeinsam geritten war, von denen ich wusste sie werden sie "zu nichts zwingen", die sie nie zuvor geritten, und diese kamen wunderbar mit ihr zurecht. Eine der Reiterinnen ritt 60, die andere 96 km, beide wurden gut plaziert, und waren hinterher voll des Lobes über das hochfein zu reitende Pferd.

S o   v e r g e h t   d e r   G l a n z    d e r   W e l t  . . .

Ligeira mit Halfter

Schluss

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