Reitverbot im Wald in Hessen scheint
vom Tisch!
8.10.2012 (abends) : Der
Runde Tisch zum Entwurf eines neuen Waldgesetzes hat
sich auf Empfehlungen für die Formulierungen der
Betretungsrechte im neuen Waldgesetz geeinigt. „Die
gegenseitige Rücksichtnahme aller Waldbesucherinnen
und -besucher steht dabei an erster Stelle“, sagte
Umweltministerin Lucia Puttrich nach dem zweiten
Treffen des Runden Tisches am Montag.
Darüberhinaus hat der
Runde Tisch beschlossen, eine Arbeitsgruppe
einzurichten, die sich mit dem Thema Sport und
Naturschutz im Wald beschäftigt. „Diese Arbeitsgruppe
wird sich der Aufgabe widmen, Verhaltensempfehlungen
für die unterschiedlichen Nutzer zu formulieren“,
sagte Puttrich. Die
Empfehlungen für das neue Waldgesetz lauten im
Wortlaut:
Beschlußfassung des
"Runden Tischs" vom 8.10.2012:
§15 Abs.
2 Waldbesucherinnen und
Waldbesucher haben aufeinander Rücksicht zu nehmen,
damit eine gegenseitige Belästigung oder Behinderung
vermieden wird. Durch die Benutzung
darf die Lebensgemeinschaft des Waldes nicht gestört,
die Bewirtschaftung des Waldes nicht behindert, der Wald
nicht gefährdet, geschädigt oder verunreinigt und die
Erholung anderer nicht beeinträchtigt werden.
§ 15
Abs. 3 Radfahren, Reiten
und Fahren mit Krankenfahrstühlen ist im Wald auf befestigten
oder naturfesten Wegen gestattet, die
von Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern oder mit deren
Zustimmung angelegt wurden und auf
denen unter gegenseitiger Rücksichtnahme
gefahrloser Begegnungsverkehr möglich
ist. Fußgängerinnen und Fußgängern sowie
Menschen, die auf einen Krankenfahrstuhl angewiesen
sind, gebührt in der Regel der Vorrang. Das
Anlegen von Wegen durch Waldbesucherinnen und
Waldbesucher ohne Zustimmung des Waldbesitzers ist
unzulässig.
§ 15
Abs. 4 Fahren mit Kutschen
ist im Wald auf Waldwegen gestattet, die
abweichend von Abs. 3 Satz 1 eine Nutzbreite von
mindestens 2 Metern aufweisen.
§ 15
Abs. 5 Nr. 5, 6 Jedes
Betreten und jede Benutzung des Waldes, die über das
nach Abs. 1 bis 4 zulässige Maß hinausgeht, bedarf der
Zustimmung der Waldbesitzerin oder des Waldbesitzers.
Einer Zustimmung bedürfen insbesondere …
5. Veranstaltungen,
wenn sie zu einer deutlichen Beunruhigung der
im Wald lebenden Tiere, einer Verunreinigung
von Waldgrundstücken oder zu einer Beschädigung von
Pflanzen führen,
6. die
Durchführung von kommerziellen Veranstaltungen
mit erwerbswirtschaftlicher Zielsetzung
(Quelle:
Pressemeldung des HMUELV vom 8.10., Hervorhebungen
in fett sind von mir; Unterstreichungen im Original)
Kommentar
zu diesen neuen Formulierungen
Damit scheinen die Pläne
interessierter Kreise vom Tisch, aus dem allgemeinen
Betretungsrecht des Waldes für Erholungssuchende ein
Recht der Wald- und Gutsherren zu machen, dies nach
Belieben einzuschränken und insbesondere die Reiter
und Biker aus diesem nahezu auszusperren. Beim "Runden
Tisch" konnten offenbar diejenigen Kreise überzeugen,
die auf ein sozialverträgliches Miteinander und
gegenseitige Rücksichtnahme, sowie den Schutz des
Waldes setzen.
Nun kann erwartet werden, dass die Formulierungen genau
so in den Hessischen Landtag eingebracht
werden. Dann wäre das (bisher schon
zufriedenstellende) Reitrecht in Hessen in mehreren
Punkten verbessert:
1) Die bessere Definition, was unter einem Waldweg zu
verstehen ist, kann nicht mehr zu Unklarheiten in
evtl. Diskussionen mit Jägern etc. führen, wenn diese
evtl. irrtümlich annehmen, bloß auf befestigten Wegen
dürfe geritten werden. "Vom Waldbesitzer angelegt"
dürften hingegen all diejenige Wege sein, die im
Geländeprofil erkennbare Wagenspuren zeigen, oder/und
in der amtlichen Karte (TK25) als Wege ausgewiesen
sind. Derart haben wir Reiter schon das bestehende
Gesetz interpretiert.
2) Die bisherige, kaum
anwendbare (weil nicht nachmessbare)
Mindestbreitenregelung von 2m für Reiter entfällt, und
wird durch ein praktikables Rücksichts- und
Vorranggebot für Fußgänger und andere "Schwächere"
ersetzt, wie es als Prinzip zur gegenseitigen
Rücksichtsnahme im §1 der STVO verankert und den
meisten hoffentlich bekannt ist. Die Reiter haben dies
in ihren "trail rules"
eigentlich seit jeher so verstanden.
3) Die in der 2. DVO von 1980
eingeführte Kennzeichnungspflicht ("Plakettenpflicht")
für Reiter in vielen Hessischen Landkreisen entfällt.
Diese wurde schon seit ca. 20 Jahren von Fachleuten
wie Forstdirektor Horst Dippel als obsolet und
eigentlich überflüssig bezeichnet, und wurde in den
letzten Jahren auch kaum noch eingehalten. Der Aufwand
für Herstellung, Ausgabe und Registrierung dieser
Kennzeichen kann daher künftig entfallen.
4) Gruppenausritte bleiben bei solchen Regelungen
ebenso möglich wie breitensportliche
Reitveranstaltungen, Reiterrallyes und Distanzritte u.
dergl.
UPDATE vom Dez. 2013:
Mit
dem Hessischen Waldgesetz, beschlossen vom Landtag und
verkündet am 8. Juli 2013 (www.hessen-forst.de/uploads/ueber-uns/hessische_waldgesetz_20130627.pdf)
wurden alle kritisierten Punkte des Gesetzentwurfs
fallen gelassen. Die Initiative war erfolgreich. De
facto haben wir jetzt ein besseres und klareres
Reitrecht als vor der Gesetzesänderung. Obendrein ist
die Kennzeichnungspflicht (Plaketten) entfallen, und
die Rechtsgrundlagen für die forstliche Genehmigung
von Reiterrallyes, Distanzritte und Reitjagden sind
bessere als vorher.
Entscheidend hierfür waren der enge Schulterschluss
mit den Mountainbikern, die öffentliche Publizität
(Printmedien, Hessenschau, Internet, Reiterdemo vor
der Wiesbadener Staatskanzlei) und der freundliche
Kontakt zur Ministerin.
Wir danken allen die mitgemacht haben!
Was die Aktion gezeigt hat: Auch unabhängige, nicht
"organisierte" Reiter können etwas erreichen!
Was man sich für ähnliche Aktionen für die Zukunft
wünscht: Dass die organisierten Verbände der Reiter
(FN/ Hessischer Reiterverband, VFD) sich auch
beteiligen!
Im Waldgesetz-Entwurf
vom 25.6.2012 des Hessischen Ministeriums für
Umwelt etc. (HMUELV) hiess es noch:
§ 15
"(1) Jeder darf Wald zum
Zwecke der Erholung nach den Maßgaben von § 14 Abs. 1 Satz
3 und 4 des Bundeswaldgesetzes und der nachfolgenden
Absätze 2 bis 4 betreten.
(2) Dem Betreten
gleichgestellt sind das
1. Radfahren,
2. Fahren mit Kutschen und
Krankenfahrstühlen sowie
3. Reiten
auf festen Waldwegen und
auf Straßen im Wald. Feste
Waldwege sind befestigte oder naturfeste Wege, die von nicht geländegängigen, zweispurigen
Kraftfahrzeugen ganzjährig
befahren werden können."
Kleiner Satz hinzugefügt,
großer Unterschied im Recht! Im derzeit gültigen
Forstgesetz steht es fast genauso. Allerdings ist nicht
näher bestimmt, was ein "fester Weg" im Sinne des Gesetzes
ist. Dieser Umstand wurde bislang meist dahingehend
ausgelegt dass ein "fest
eingerichteter Weg" (nach Topographischer Karte)
ein fester Weg ist, mindestens
aber jeder Weg auf dem Pferdehufe keine dauerhaften
Spuren hinterlassen. Durch die Hintertür, den bislang unklar
gefassten Begriff "festen Weg" sehr rigide einzuschränken,
sollten das Reiten, Kutsch- und Radfahren auf den
allermeisten Wegen verboten werden. Denn "ganzjährig mit
nicht geländegängigen Kfz" (also mit normalen Pkw) befahrbar
sind ungeschotterte Wege gar nicht, und selbst nur die
wenigsten befestigten Fahrwege befahrbar. Denn diese werden
im Winter ja weder geräumt noch gestreut. Das hätte zur
Folge gehabt, dass schon lange legal benutzte reitbare Wege
für alle Benutzergruppen außer Fußgänger verboten gewesen
wären, falls die Eigentümer der Benutzung nicht ausdrücklich
zugestimmt hätten.
Ungemach drohte auch durch:
"(4) Betreten mehrere Personen den
Wald zur Verfolgung
eines gemeinsamen Zweckes, steht ihnen das
Betretungsrecht nur zu, wenn nach den örtlichen Gegebenheiten eine
Beeinträchtigung des betroffenen Waldgebietes nicht zu erwarten ist.
(5) Jedes Betreten und
jede Benutzung des Waldes, die über das nach Abs. 1 bis 4
zulässige Maß hinausgeht, bedarf der Zustimmung der
Waldbesitzerin oder des Waldbesitzers."
Diese Vorschrift zielte offenbar in erster Linie auf
Geocacher*) - und gruppenweise fahrende Mountainbiker,
trifft aber auch andere. Demzufolge hätte man vor jedem privaten
Gruppenausritt wohl zunächst den zuständigen
Waldbesitzer um Erlaubnis fragen müssen!
Im Falle eines Verstoßes drohten saftige Bußgelder bis zu 25.000,- bzw.
100.00,- (§28) sowie die "Einziehung" von
"Gegenständen" mit deren Hilfe die Ordnungswidrigkeit verübt
wurde (§29).
Unser Protest scheint daher wirklich
etwas bewirkt zu haben, und ist insofern für manche
vielleicht Lehrstunde in Sachen Demokratie.
Realistisch betrachtet, haben wir die politische
Kehrtwende aber doch eher dem viel stärkeren und
öffentlichkeitswirksameren Protest der Radfahrer
(Mountainbiker) zu verdanken. Diese hatten, obwohl
durch den Gesetzentwurf nicht stärker betroffen als
wir Reiter, angeführt vom Vorstand ihrer
schlagkräftigen Interessenvertretung DIMB, im
"Sommerloch" 2012 einen Proteststurm entfacht wie ihn
die Bundesrepublik seit der geplanten Einführung des
Waldgesetztes 1974 nicht mehr erlebt hat. Wir Reiter
verschwanden dabei zeitweilig völlig aus der
Presseberichterstattung, und manche, durch unsere
Verbände nicht oder teils fehlinformiert, glaubten
zeitweilig selbst, das neugeplante Gesetz beträfe nur
die Biker. Dies haben wir, als kleines Grüppchen
"freier Reiter", durch unsere Demo vor der Wiesbadener
Staatskanzlei am 1.9. wieder richtig rücken können.
Der Formulierungsvorschlag des Runden Tischs entstammt
in vielen Details den konstruktiven Vorschlägen der
Mountainbiker, wie er vorher im breiten Kreis
öffentlich diskutiert wurde (mtb-Forum).
Dieser offen geführten und dynamisch sich
entwickelnden Diskussion - die sich die Reiterverbände
zum Vorbild nehmen sollten - waren am Ende wohl keine
schlüssigen Argumente mehr entgegenzusetzen, sodass
die Vernunft sich durchgesetzt hat. Nun sollten sich
auch alle im Wald vernünftig und rücksichtsvoll
verhalten!
Pferd am 1.9.2012
vor der Hessischen Staatskanzlei - Foto Birgit Koll
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